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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 48

Text

48 ALTENBERG.

Ich hasse deiner Stimme holdesten Klang, der mir die Symphonien
Beethoven’s leer macht und mein armes Selbst zum gottbegnadeten Ton-
genius steigert, der ich doch nicht bin.

Ich hasse dich, die meine Weltenkräfte, die zersplittern und ver-
kommen wollen, allzu sorgend ins Dienstesbette drängt.

Vorsorgliche! Gescheite! Ich hasse dich.

Ich hasse dich, »fixe Idee meiner Seele«, Verrücktheit meines
grenzelosen Fühlens!

Ich hasse dich, wenn du mir sagst: »Komm’ wieder«, ich hasse
dich, wenn du mir sagst: »O bleib’«.

Ich hasse deine Tugenden, die mich rühren, ich hasse deine
Fehler, die mich nie verletzen.

Ich hasse dein Erröthen, das mich selig, und dein Erbleichen,
welches mich besorgt macht. Ich hasse dich, dass ich auf diesem ge-
liebten Antlitz die Runen schwerer Stunden ängstlich lese.

Die grenzenlosen Kräfte meiner Seele vermählen
sich dem All nicht, sie treiben Ehebruch mit deinem
Herzen, o Geliebte
!

So hass’ ich Alles, was ich an dir liebe. Ich hasse dich! Welten-
dummheit hast du! Denn du fühlst in mir des Weltenganzen einfachen
Vertreter, das Weltgebilde, das du nicht begreifst, in einem
Weltextracte, den du fassen kannst.

Ich aber bin es nicht. Ich kann es werden. Doch nicht bei
dir und nicht durch dich. Nur durch die Weltenschönheit kann ich’s
werden, die mit dem Kreidewald und Farrenwald begann und weiter-
zieht bis zu den letzten Stunden.

Durch Weltenschönheit kann ich’s werden, die ihrer Kräfte ende-
lose Ströme durch meine heiligen Augen in mich ergösse, und ich, ich
tränke sie und machte sie zu Blut, zu Geist!

Doch deine Ströme, o geliebteste Geliebte, machen mich nur zum
Herren des Alltages, der zeugt und stirbt.

Ich hasse dich! Indem du mich von meinem Weltenwege ablenkst,
zeigst du den kargen Weg mir, der vielleicht mir ziemt. Und weist
mit deines Leibes griechischer Schönheit den kleinen Kreislauf, der dem
Schwächeren frommt!

Und doch. Geliebte Reichmacherin, die du mir die Welt verarmst!

Siehe! Des fremden Kindes Lächeln muss mir theurer bleiben
als meines eigenen Lachen!

Weib, verstehst du das?!!

Denn meine väterliche Liebe reicht gerade aus für alle Kinder,
die da sind und die da kommen werden, wenn sie nur schön sind
und der Frühling sind.

Tausendfach armselig, tausendfacher Un-Mann, wer
da fühlt, dass er, um seines Herzens Vaterliebe anzu-
bringen, sich erst ein Wesen schaffen muss dazu
!!

Du aber bleibst, Geliebte und Gequälte, die heilige Jungfrau-Mutter!
Und sonst nichts.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 48, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-02_n0048.html)