Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 62

Decorative Kunst (Cantacuzène, Elsa Prinzessin)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 62

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62 CANTACUZÈNE.

und dann glauben will, eine Probe seiner Kraft gegeben zu haben,
der betrügt sich eben durch den mangelnden Massstab. Nein! Voll im
Leben stehen mit offenen Augen für Alles, was ringsum sich erschliesst,
und doch sich selbst nicht verlieren, das erst beweist, ob starke
Eigenart vorhanden ist. Diesen Beweis zu liefern, dafür muss also uns
Deutschen die Möglichkeit offen gelassen werden. Und wir wollen ihn
gewiss nicht schuldig bleiben!

Sehen wir doch schon jetzt eine stattliche Anzahl deutscher
Künstler, gediegen und selbstständig schaffend, in den vordersten Reihen
sich hervorthun. Eckmann z. B., von dem dieses erste Heft einige
sehr schöne, wahrhaft künstlerisch empfundene Entwürfe zu verschie-
denen Beleuchtungskörpern bringt. Mit wie viel warmem Verständniss
holt er aus den fein studirten Pflanzenmotiven gerade das heraus, was
gleichsam dazu prädestinirt erscheint, dem Lichte als Träger zu dienen.
Für diese specielle Befähigung Eckmann’s, in der sich Natursinn und
Stylgefühl, harmonisch ausgeglichen, kundthun, scheinen mir die grosse
Abbildung auf Seite 5 und die mittlere auf Seite 13 besonders reiz-
volle Beispiele.

Es würde zu weit führen, auf jede einzelne der vielen anderen
Illustrationen aufmerksam zu machen. In ihrer Gesammtheit geben sie
uns, Hand in Hand mit dem sie begleitenden Aufsatz, einen interessanten
Einblick in die Entwicklung dieses so »par excellence« modernen Ge-
bietes. Klar werden darin die beiden Richtungen unterschieden, die
ihr ein doppelseitiges Gepräge geben. Die eine hat von Benson ihren
Ausgang genommen. Sein Grundsatz, »jeden unsachlichen Zierat ver-
meiden, wohl aber den einfachen Nützlichkeitsformen möglichst ge-
diegenes Aussehen geben,« rief einen mächtigen Umschwung hervor.
Ja, Benson wirkte wahrhaft bahnbrechend, und von seinem Principe
beeinflusst, wenn auch trotzdem Jeder ganz individuell, schaffen die
drei grossen Belgier Van de Velde, Horta, Rysselberghe, die
Engländer Wilson, Ashbee, Rathbone, sowie einige englische
»Guilds«. Die andere Richtung hat ihren Ursprung in Tiffany’s Glas-
kunst. Seine farb- und formschönen, decorativ so ausserodentlich wir-
kungsvollen Lampen, deren manche mich — ich weiss nicht in welchem
Zusammenhang — an südlich mächtige Tropenpracht gemahnte, zeugen
von einer stark ausgeprägten, temperamentvollen Künstlerindividualität.
Für ihn, für sein umfassendes Schaffen verspricht uns der — übrigens
textlich wie seiner Ausstattung nach sehr sympathisch berührende —
Prospect ein eigenes Heft.

Ein sehr interessanter Artikel von H. Muthesius führt uns in die
Handwerkerschulen Englands, in die dortige Handhabung des Unter-
richtes ein. Wir lernen zuerst die grossartige und segensreiche Thätig-
keit des South Kensington-Museums kennen: »Es hat eine grosse
Kulturaufgabe erfüllt, und wer heute eine Geschichte der modernen
Renaissance des Kunstgewerbes schreiben wollte, der hätte mit seiner
Gründung zu beginnen.« Aber jede Einrichtung hängt innig mit der
Zeit ihres Entstehens zusammen und wirkt nur so lange Gutes, als

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 62, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-02_n0062.html)