Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 63

Decorative Kunst (Cantacuzène, Elsa Prinzessin)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 63

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DECORATIVE KUNST. 63

sie den Bedürfnissen der Zeit entspricht. So drängt auch hier eine
neue Epoche zu neuen Institutionen. Jene Forderungen zu erfüllen, d. h. in
diesem Falle: den Handwerker wieder zu jener einst ihm eignenden »selbst-
ständigen schöpferischen Thätigkeit zu erziehen, das ist das Ziel einer
Reihe von Handwerkerschulen, die in den letzten Jahren in England
entstanden sind. In welcher Weise versucht wird, dies Ziel zu er-
reichen, auf welcher Basis, mit welchen Mitteln, unter welcher Leitung
daran gebaut wird, davon entrollt uns der Verfasser mit dankens-
werther, klarer Sachlichkeit ein lebendiges Bild, und es hätte keinen
Sinn, es hier zerstückelt wiederzugeben. Ich möchte nur noch die
Namen von drei Künstlern nennen, welche den neuen Schulen beson-
ders nahe stehen: Herkomer, Frampton, Lethaby — Namen,
die für die Art der Sache bürgen.

Ehe ich nun zu kurzer Besprechung der verschiedenen Aus-
stellungsberichte, welche das Heft beschliessen, übergehe, möchte ich
noch einmal auf die schon erwähnten altvenetianischen Druckstöcke,
zu denen uns Otto Julius Bierbaum, der Poet, den Text geschrieben,
mit ein paar Worten zurückkommen. Die wechselreichen Muster sind
in feinen grünen und gelben Tönen wiedergegeben. Ein duftiger Zauber
geht von ihnen aus: bald reizend zierlich, wie ein altväterischer Tanz,
bald zartlienig, phantasievoll, feingeschwungen, dass man unwillkürlich
an Obrist’sche Stickereien denken muss, bald in grossen geometrisch
ornamentalen Wellenformen, Mahnungen an all den Reichthum, der
unerschöpflich im einfachen Kreise, im Zirkel verborgen liegt. Wahr-
lich, ein prächtiger Fund diese alten Muster!

»Solch ein Kind moderner Kunst wie dieses Heft verachtet also
nicht Alles, was früherer Zeit entstammt?« Kopfschüttelnd und sich
wundernd hör’ ich es unsere Alten sagen, die Alten im Gemüth, die
es nicht begreifen können, dass in den gleichen warmen Herzen und
jungen Köpfen, in denen es drängt und quillt von eigener froher
Schaffenslust, auch Raum ist für freudige Bewunderung des früher-
geschenkten Schönen. — Wenn man es aber empfindet, dann begreift
man es auch!

Wie mächtig es überall zu keimen beginnt — wenn auch seltene
Blumen und wildes Unkraut, Eintagsblüthen und wachsthumkräftige
junge Stämme in buntem Durcheinander aus der Erde spriessen —
dess’ werden wir inne, wenn wir die »modernen kunstgewerblichen Aus-
stellungen« durchwandern. Der Aufsatz ist unendlich reichhaltig. Fast
überwältigt uns die Menge des Genannten! Unser Führer ist uner-
müdlich: Von London nach Brüssel, von dort nach Paris und weiter,
hoch in den Norden, und zurück in unsere deutschen Ausstellungs-
städte — überallhin geht’s im Fluge. Und überall ist er zu Hause,
Alles hat er gesehen, beobachtet, verglichen. Und dass es so im Fluge
sein muss, dies orientirende Umherführen, dass er uns die mannig-
faltigen Dinge nur constatiren, unsere Eindrücke nicht ausleben lassen
kann, das ist nicht seine Schuld! Sollten wir doch in diesem ersten
Hefte erst gleichsam eingeführt werden in die ganze junge Bewegung,

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 63, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-02_n0063.html)