Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 64

Decorative Kunst (Cantacuzène, Elsa Prinzessin)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 64

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64 CANTACUZÈNE.

erst einen Gesammtüberblick über Versuchtes und Fertiges, über Inland
und Ausland bekommen. Den hat er uns wahrlich gegeben und damit
den Beweis, dass Wenige sich dermassen zum Cicerone eignen wie
gerade der Verfasser mit seinem intimen Verständniss für Künstler
und Schöpfungen und seinem fein abwägenden Bemessen der Werthe.
Nur zuweilen, ein- oder das anderemal, überschätzt er vielleicht
in warmherziger Begeisterung einzelne Leistungen, wie — nach
meinem Gefühl — in dem vorliegenden Bericht die Bedeutung des
»Neuen« in den Hamburger und Leipziger Ausstellungsarchitekturen.
Es steckt ja gewiss viel gediegenes Können, viel Geschmack und
Geschicklichkeit und modernes Empfinden in diesen Schöpfungen,
aber der Abstand vom Schondagewesenen (freilich meine ich darunter
nicht die Berliner Gewerbeausstellung, für die unser Führer in der
Bezeichnung »proletarische Geschmacklosigkeit« gewiss das richtige
Wort gefunden hat), dieser Abstand scheint mir kein so gewaltiger,
entscheidender zu sein, als der Verfasser es aufstellt. Bei allem Guten,
allem Fortschritt sehe ich nichts bahnbrechend »Neues«. — Doch
möchte ich durch diese persönlichen Einwendungen das Verdienst
dessen nicht schmälern, der uns so viel Schönes aufgefunden, auf so viel
Kennenswerthes unseren Blick gelenkt, dem wir dadurch so manche
Anregung zu danken haben.

Es folgt der Aufsatz über Tervueren von Henry van de Velde.
Ihm, einem der Hauptbetheiligten, hat man das Wort gelassen. Und er
führt es anregend und gut! Er lässt uns mit erleben, wie dieser »Fall
Tervueren« zuerst entstand, sich aus der Idee zur That entfaltete, wie
durch das Zusammenwirken günstigster Verhältnisse und genialer Kräfte
diese Ausstellung ihrem colonialen Zwecke und höchsten künstlerischen
Ansprüchen gerecht werden konnte. Staatssecretär v. Eetveld und
Lt. Masui (Generalsecretär der Ausstellung) haben den Keim dazu gelegt;
Künstler, die zu den Besten gehören, ihn entwickelt und zur schönen
Blüthe werden lassen. Und wenn uns van de Velde auch versichert,
die Ausstellung zu beschreiben, sei unmöglich, so gibt er uns doch
in wenigen kurzen bezeichnenden Sätzen in gewissem Sinne ein Bild
von ihr. So schreibt er: »Man denke sich einen Saal, in dem die
Werke belgischer Künstler, in dem Elfenbein der Colonie ausgestellt
sind, und dann einen anderen, in dem man die Handelswaaren findet,
die Belgien zum Umtausch nach Afrika schickt. Trotz dieser noth-
wendigen sachlichen Gegensätze ist das Ganze von einem künstlerischen
Geist durchdrungen.« »Die Mittel sind höchst einfach, es ist immer nur
wieder Holz, hie und da ein wenig Glas und Beschläge. Damit hat
jeder Künstler das Seinige gethan, immer nur in dem Wunsch, das
Ganze zu verschönen.« Der Zweck ist erreicht worden und — hoffen
wir’s mit van de Velde — dass »das Gewonnene bleibend sei«. Möge
der Erfolg, der weit über den Rahmen eines flüchtigen Ausstellungs-
versuches hinausgeht, bestimmend nachwirken auf nachfolgende Ausstel-
lungen, auf die Einrichtung öffentlicher Gebäude und der gleiche Geist
auch einziehen in unsere Häuser! Das wäre zu wünschen!

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 64, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-02_n0064.html)