Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 69
Randglossen über London (Daudet, Madame Alphonse)
Text
Hier sind wunderbare Handzeichnungen, von denen eine den
Blitz in Gestalt eines Drachens in leuchtender und zickzackförmiger
Bewegung zeigt; endlich Gemälde des Hausherrn, auf unsere Bitte ent-
hüllt: über einem Hintergrund des Golfes von Neapel eine Frauengruppe
um einen grossartigen Löwen zwischen Fluth und Himmel. Entzückt
verlassen wir diese eigenartige Wohnung, um in grosser Eile das Hotel
M... M... zu erreichen, wo die Menge sich drängt und eilt.
Man hat hier Alles vereinigt, was in der englischen Literatur
einen Namen führt, eine Gesellschaft interessanter Schriftsteller und
Schriftstellerinnen; damit die Vorstellungen ordentlich stattfinden, lässt
Frau M... M... gleichzeitig in unserer Nähe nur wenig Personen, so
dass nach der nothwendigen Einleitung zu einer Unterhaltung, den
ersten nichtssagenden Fragen, wobei diese Unterhaltung kaum be-
gonnen hat, der plaudernden Person eine andere weniger gut vor-
bereitete folgt; man kann sich die Unterhaltung nicht interessant
machen, da man von Neuem beginnen muss. Dieser bedeutungsvolle
Versuch, besonders in verschiedenen Sprachen, lässt nach dem ununter-
brochenen Vorübergehen geistvoller aristokratischer Gesichter, nach
dieser Aufzählung von Namen, die in Kunst und Wissenschaft bekannt
sind, viel Bedauern aufkommen. Nichtsdestoweniger bewahre ich eine
angenehme Erinnerung an den schönen, hell decorirten Salon, der
mit Sträussen aus rothen Mahonienblättern und gelben Narcissen-
blüthen geschmückt ist und mit zwei schönen Kindern.
Nach dem Essen leisten wir einer Einladung des Admirals Maxse
zu einem Seefeste in einem Club neben dem Hotel Folge. Ueber end-
lose Treppen, welche im Erdgeschoss beginnen, sich verzweigen, seit-
wärts gehen, sind wir in einen grossen, kahlen Saal gelangt, dessen
Decke aus Glas besteht, während der Boden eine sehr dunkle Wasser-
fläche bildet mit den Reflexen tausender von elektrischen Flammen,
um welche rings herum eine Art Quai als Parquet und eine Galerie
laufen, die auf Stufen das zahlreiche und elegante Publicum trägt: zum
Abend geschmückte Frauen, Clubleute mit Blumen im Knopfloch; und
ich finde sogar diese Toiletten ein wenig kokett, etwas zu zierlich ge-
arbeitet im Vergleich zu diesem schmutzigen Wasser, den Spielern,
welche sich in dunkeln Tricots hineinwerfen und sich mit Wett-
schwimmen, Concurrenzprüfungen, Bocksprüngen, Sprüngen am Ende
schwimmender Seile abgeben. Plötzlich richtet sich auf dem hohen
Sprungbrett ein hübsches Frauenbild auf, behend, mittelgross, mit
kurzen Haaren. Sie beugt sich vor, macht einen langen Kopfsprung,
taucht wieder auf, schwimmt verführerisch, theilt das Wasser mit einem
ihrer weissen Arme, den der Blick aus der Ferne noch verlängert, und
stets durchschneidet dieser schöne Arm in den Rückbewegungen seiner
Fahrt die ganze Spur im Wasser. Hierauf Musik, Sprünge, während ein
ganz Theil der Gäste auf dem äusseren Gange, wie eine Schauspielerin
hinter den Coulissen, das junge Weib wiedertreffen, welches ganz triefend,
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 2, S. 69, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-02_n0069.html)