Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 4, S. 151
Text
wie einer, der in frischer Luft lebt und sich regelmässig nährt, seine
gesunde Gesichtsfarbe findet. Diejenigen aber, welche sich von aussen
her durch Vermengung fremder Style einen originalen Styl ohne
originale Gedanken, ja ohne originales Leben erschwingen wollen,
gleichen jenen widerlichen Frauenzimmern, welche durch Auflegen von
Puder und Salbe einen schönen Teint vorspiegeln wollen. Jeder
Mensch von Natürlichkeit bekommt Uebelkeiten vor diesen »Styl-
künstlern«. Diese Fälschungen werden um so widerlicher, je stärker
diese Literaten ihren »Styl« auftragen und — je jünger sie sind. Es
ist nämlich fast immer eine Anmassung, wenn ein zwei- oder dreiund-
zwanzigjähriger Jüngling seinen eigenen Styl schreibt. Man lese nur
z. B. die ersten Schriften Nietzsche’s nach. Wie wenig Symptome
eines subjectiven Styles gestattet er sich noch in den »Unzeitgemässen
Betrachtungen«! Wer will am Werther den Goethe’schen Styl heraus-
finden? Ein junger Mann hat keinen eigenen Styl, und wenn er
ihn zu haben scheint, so muss man ihm misstrauen!
Es ist das Merkmal des wahrhaften, individuellen Styles, dass in
ihm fast alle subjectiven Eigenheiten des Autors auf irgend eine Weise
zum Ausdruck kommen. Ob ein Schriftsteller an Athemnoth leidet oder
nicht, muss man an seinem Styl erkennen. Deshalb ist u. A. die Prosa
von Peter Altenberg so überzeugend, weil sein Styl so vollkommen
seinem sensitiven und ekstatischen Nervensystem entspricht. Deshalb
ist jeder Satz Schopenhauer’s so überzeugend, weil er beinahe den
Tonfall und die Heftigkeit der Stimme des Philosophen wiedergibt.
Und nun stelle sich irgend Jemand die schreiende Ueberladenheit, die
abgeschmackte Geschminktheit in den Extravaganzen dieser jungen
Stylisten gesprochen vor. Ich greife irgend ein erstbestes Beispiel
heraus. Kann irgend ein Mensch z. B. so reden: »Gerade zur rechten
Zeit, da die ganze Welt von den fremden, seltsam stolzen
Worten d’Annuncio’s spricht und von Staunen erfüllt ist, wie der
Dichter zu den Bauern sprach, um das Mandat für dieKammer
sich bewerbend, erscheint dieser Roman u. s. w. « Das Beispiel
ist eines von den milderen. Aber diese Wendung: »Die fremden,
seltsam stolzen Worte« ist exemplarisch für jene systematische Ab-
tödtung des Eigenschaftswortes durch eine fortwährende Ueberladung,
Ueberhäufung mit Adverbialen. Andererseits ist die Construction, »um
das Mandat sich bewerbend,« eine offenkundige Imitirung französischer
Formen, die aber im Deutschen schon durch die Wortfolge schwer-
fällig und unschön ist. Auf solche Weise, durch eine orientalische,
protzige Wortschwelgerei sowie durch ein geschicktes Gemisch diverser
Stylcopien, wird man ein originaler Stylist. — — —
So elementar wie ein Mensch beim Sprechen die Betonung der
Worte findet, so gut findet ein Mensch, der schreibt, jene schriftliche
Betonung und Rangordnung der Worte, welche Styl genannt wird.
Freilich, ohne innere Resonanz wird keinerlei Betonung zustande
kommen. Die Frage des guten Styls ist eine Frage der inneren Leben-
digkeit. Nur dem innerlich Erkalteten, Ausgestorbenen müssen stylistische
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 4, S. 151, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-04_n0151.html)