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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 162

Text

162 DRACHMANN.

wie sich unsere Krägen wie eine feuchtkalte Hand um unseren Hals
legten, eine Art von Grauen, als der nasse Rockaufschlag am Hand-
gelenke nach und nach zu einem ganzen nassen Aermel wurde, und
endlich ein eisig kältendes Gefühl von Erstickungstod, als wir den
Sitz, auf dem wir sassen, gleichsam zu einem richtigen kleinen Dorf-
teiche werden fühlten.

Und dann tauchten durch den dichten Regen in undeutlichen
Umrissen die hohen, waldbewachsenen Höhenzüge auf. Dazwischen zog
sich der Weg hin, gleichsam wie unwillig über diese Einengung.

Es wurde förmlich dunkel da drinnen zwischen den Hügeln. Als
es wieder etwas lichter ward, erkannten wir, dass es steil abwärts
ging. Das letztere schien den Pferden sehr angenehm zu sein. Für uns
dagegen ward es die Quelle einer neuen Heimsuchung; denn alles
Wasser, das bergauf hinten im Wagen gestanden, und gegen das wir
aufgedämmt hatten, kam jetzt im Schusse nach vorn und lief uns hinein
in die Stiefel. O, wir haben die armen Pferde um ihre gute Laune beneidet.

Aber nun waren unsere Leiden auch beendet. Denn auf dem
Grunde der Senkung, in die unser Wagen hinab holperte, erkannten
wir Dächer und Häuser, zwischen Bäumen zerstreut liegend, und da-
hinter gleichsam eine mächtige, graublaue Schutzwand mit weissen
Streifen. Das war das Meer.

Dann verschwamm Alles wieder in einem neuen, hartnäckigen
Regenschauer, und unter diesem hielten wir unseren Einzug in dem
kleinen Neste, unserem Bestimmungsorte, dem Badeplatze.

»Im Grunde überflüssig« — sagte mein Freund, während er sich
das nasse Zeug in unserem gemeinschaftlichen Schlafzimmer vom Leibe zog.

»Ueberflüssig? Was?« fragte ich, auf gleiche Weise beschäftigt.

»Hieher zu reisen, um ins Wasser zu kommen.«

»Ich dächte, gerade jetzt wäre es nicht recht angebracht, schlechte
Witze zu reissen!«

»So? Du willst wohl auch noch gute verlangen?«

Ich zuckte in stummer Verachtung mit den Schultern. »Warum,
zum Teu..., hast du uns auch hieher geschleppt?«

»Das sind die Pferde aber nicht ich gewesen!«

Ich versuchte, ihn mit einem Blicke zu vernichten; aber es über-
lief mich in demselben Augenblicke ein Schauer, da ich mich eben
meiner intimsten Kleidung entledigte. Er antwortete mit unverwüst-
licher Kaltblütigkeit, während er sein Hemd über eine Stuhllehne hängte:

»Du warst überanstrengt, überarbeitet; du bedurftest der Ruhe,
um dich zu kräftigen. Ich habe diesen Platz vorgeschlagen, wir sind
hieher gereist, es ist Regenwetter geworden, und es sieht immer noch
wie Regen aus. Ich bin nicht der Herr des Regens um nicht zu
sagen Regenmeister — nämlich mit ch geschrieben; — denn sonst
läuft dir die Galle über. Wir werden uns also wohl einrichten müssen!«

Ich fragte nach einer kurzen Pause, was er unter »sich ein-
richten« verstünde?

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 162, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-05_n0162.html)