Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 163
Künstlerherzen (Drachmann, Holger)
Text
»Ich denke, wir legen uns gleich und verlangen Thee oder Kaffee
an unser Bett. Wir können uns ja stellen, als ob wir uns erkältet
hätten — morgen werden wir es ja so wie so in Wirklichkeit sein!«
Darauf warf er einen Blick zu dem einen Fenster hinaus und
ich einen zu dem anderen. Wir vermochten kaum bis über die schmale
Gasse hinüberzublicken, so goss es draussen. Es regnete nicht, es war
auch kaum ein Giessen zu nennen, es wälzte sich förmlich herunter,
gleich als ob das Fass der Danaiden gerade über unseren Häuptern
angebracht gewesen wäre. Und dann kam ein Windstoss, und unter
der Gewalt desselben stob das Wasser von allen Vordächern und Aus-
flussrinnen wie etwa der permanente Staubregen, der nach bereister
Leute Aussage über dem Niagarafall herrschen soll.
Ich zog an der Klingelschnur. Ein Mädchen steckte ihren Kopf
zur Thüre herein und zog sich ebenso schnell wieder zurück. Ich
hatte in meinem blinden Eifer nicht bemerkt, dass mein Freund noch
gar nicht mit seiner Toilette fertig war. Er hatte auf der Windseite des
Wagens gesessen und war noch schlimmer mitgenommen worden als ich.
Dann kam der Knecht des Gasthofes.
»Warum klopft Er nicht an?« rief ich zornig. Ich war mit Menschen-
hass bis zum Halse vollgeladen.
Er machte ein verblüfftes Gesicht.
»Das Mädchen sagte, die Herren !«
»’s ist gut. Wir wollen zu Bett!«
»Zu Bett?!!«
»Ja. Und wir wünschen unseren Thee hieher!«
»Thee hieher!«
»Ja. Da soll doch gleich ein heiliges !«
Heinrich gab an meiner statt die nöthigen Befehle in einem
ruhigen und nachsichtsvollen Ton.
Der Knecht, der meinen Freund offenbar von früherher kannte,
las unser Schuhwerk zusammen und wand sich mit einem ganzen Stapel
nasser Kleider auf dem Arme durch die Thüre hinaus. Es triefte hinter
ihm auf der Diele her wie hinter einem Hühnerhund, der Wildenten
apportirt hat.
Und dann gingen wir zu Bett, und die Dämmerung trat ein.
Ich lag und blickte um mich. Eigentlich gab es nicht viel in
dem Loche, nach dem man sich hätte umsehen können. Die Thüre
nach dem nächsten Zimmer, das wir als Arbeitszimmer benützen
wollten, stand offen. Unsere Koffer und unsere Reisetaschen standen
und lagen ebenfalls geöffnet ringsumher. Wir hatten ausgepackt, um
den Umfang des Schadens ermessen zu können. Meines Freundes
Malerrequisiten und meine eigenen Bücher und Papiere lagen und
schwammen durcheinander, als ob eine Sturmfluth darin herumgewühlt hätte.
Eine dumpfige, feuchte Luft herrschte in beiden Zimmern. Dazu
die Betttücher feuchtkalt! Die Feuchtigkeit und der warme Thee zu-
sammen bewirkten, dass ich in Transpiration gerieth. Ich blickte hinüber
nach dem anderen Bette. Mein Freund hatte mir den Nacken zu-
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 163, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-05_n0163.html)