Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 193

Jung-Münchens Kunst (Strindberg, Frieda)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 193

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JUNG-MÜNCHENS KUNST. 163

ist sie heiss und ungeduldig, stösst allen hindernden Firlefanz von
sich, wie Prüderie und Sentimentalität. Sie ist positiv, erträgt nichts In-
directes mehr, das sie von ihrem Ziele trennt. Und schönheitslüstern
ist sie, will das geliebte Leben schmücken und berauschen und dazu
jubeln — laut oder ganz innerlich stille.

Münchens Literatur und Kunst im Laufe der letzten zehn Jahre
hat zwei Bewegungen zu verzeichnen, die im Grund nur eine Richtung
haben: die Realisten- und Naturalistenbewegung, an deren Spitze
Conrad’s „Gesellschaft“ stand und gleichzeitig auf malerischem Gebiet
das Entstehen der Secession, mit Uhde, Stuck, mit Thoma, Slevogt
u. s. w. — dann in der allerletzten Zeit das stille Kriegsverstummen,
heimliche Vorbereiten, das sich in der diesjährigen Ausstellung zu
einem neuen Kunstbilde gestaltete, dessen vollständige Ergänzung noch
die Kunstblätter Georg Hirth’s und Albert Langen’s bilden.

Damals sassen am Literatentisch beisammen Conrad, Bierbaum,
Liliencron, Frau Croissant-Rust, Schaumberger, Schaumberg, Scharf,
Panizza, Dauthendey und Andere. Sie waren alle jung und übermüthig
und so gebildet, dass sie alle Bildung gerne über den Haufen warfen
und nur dem Leben Jubellieder sangen — Bierbaum und Liliencron
in wunderschönen Versen, Conrad und die Croissant-Rust in Prosa.
Apostel der Lebensfreude waren sie, die ersten, die man in Deutsch-
land seit Langem vernahm. Ihr wahres Empfinden konnte das Ver-
logene nicht brauchen. Sie gingen mit den Idealen und der Sprache
eines Dahn und Ebers schlimm, schlimm um. Zur gleichen Zeit wan-
derte ein scheuer Graukopf durch die Strassen, einsam und unbefriedigt,
dem das Münchener Kleeblatt Bernstein, Fulda und Philippi in Deutsch-
land erst zu Ruhm verhalf — der Apostel der Lebenswahrheit —
Henrik Ibsen. Das war Münchens grosse erste Periode.

Mehr von sich reden machten allerdings die Maler, die Stürmer,
Dränger, die Meister der Secession. Sie sind heute zur Anerkennung
gelangt. Man greift einen Stuck und Uhde kaum mehr an — wozu
sie da noch preisen. Und die Impressionisten, die Förderer des tollen
Farbenreigens, der von Paris ausging und das kleine München mit
einem Sonnenspuk füllte, nach dem zu schauen, den zu verhöhnen
man von allen deutschen Gauen herbeilief, haben ihr Ziel, Leben und
Lust zu predigen, auch erfüllt. Man konnte sie, wie die Dichter, in
zwei Theile scheiden — in Jene, welche die Kraft und sinnliche
Schönheit, die Gluth des Lebens zum Ausdruck brachten, und dann in
Jene, die bitter grollten und hart das Leid zu schildern wussten, das
das Leben mit sich brachte. In Allem aber wirkte Jugend, Jugend-
frische, Echtheit.

In diesem Jahre erst haben sich die Secessionisten mit den Alten
vereint und gemeinsam die grosse Ausstellung im Glaspalast eröffnet
Sie bot ein sonderbares Bild, die Ausstellung, und wirkte erst be-
fremdend.

War dies das junge München? Dies Jung-Münchens Kunst?

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 193, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-05_n0193.html)