Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 194

Jung-Münchens Kunst (Strindberg, Frieda)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 194

Text

194 STRINDBERG.

Im grossen Vestibule mit der riesenhohen Wölbung stand die
enorme Bronzestatue der Athene. Vier Sagenthiere ruhten neben ihr
— grob und durchaus decorativ in der Structur. Was ist uns Athene?
Hat das neunzehnte Jahrhundert nichts gefunden, das ihm näher steht,
mehr sagt als die helmentsprossene Göttertochter?

Daneben die Säle mit retrospectiver Kunst: die Bilder schlecht
gewählt und schlecht gereiht.

Hier hing ein Achenbach mit einem Meere, wie es nie gewesen,
wie er es nie hätte malen sollen — daneben ein Harpignics, jenes
Bild, das den stillen, bleichen Mond über stillen, blassen Bäumen
zeigt, für das er den Preis erhielt, als er bereits im Sterben lag. Weiter
oben ein Canon, dann ein Feuerbach, ein Knaus. Ein schwächlicher
Manet und ein wundervoller Monet — Schreyer’s »brennender Post-
hof«, zwei grelle, verlogene Makarts, ein Kind und eine Dame, Adam Kunz,
der die erste Medaille dafür erhielt, dass er in seinem Stillleben malte,
was Snyders neben ihm vor dreihundert Jahren viel besser gemalt. —
— War die Zusammenstellung Ironie?

Und in den anderen Sälen, wie viel der Durchschnittswaare!
Wohl war Böcklin vertreten mit der herrlichen »Brandung«, dem
»Abenteuer«, der »Ruine«, dem »Adam« — wohl hatte Uhde Alles,
was von Schmerz und Sehnsucht in einem Menschenantlitz liegen kann,
in seine Bettler vor »Christi Himmelfahrt« gelegt — wohl hatte Stuck
in seinem »Bacchantenzug« der heidnischen Sinnlichkeit das beredtste
Lied gesungen und Habermann den Kopf seiner Liebsten auf so und
so viel Bildern mit einem zauberhaften Schein gespenstisch-giftigen
Grüns umgeben. Ja, ein Slevogt sogar hing da, die Scheherazade, die
Märchen erzählt durch tausend und eine Nacht — das modernste
aller Bilder, das die Psyche des ganzen kranken Liebeslebens darlegt:
der Sultan, ein müder, erschöpfter fin de siècle-Mensch, in überweiche
Kissen hingestreckt, so kraftlos, freudlos, und sie — das Weib an
seiner Seite, la femme de trente ans, mit dem starken Gebiss und
dem grossen, weiten Thier- und Dirnenmund, der zu sprechen und —
zu küssen weiss — die Brüste schlaff, die Züge welk, aber siegreich
durch ihr Können. Darüber ein Beleuchtungszauber ausgegossen, gegen
den die Künste Albert Keller’s nur Mätzchen sind.

Und dennoch, trotz der Schätze, frug man sich beinahe: Ist dies
die neueste, modernste Münchner Kunstausstellung? Was hat sie uns
Neues gebracht?

Aber man frug es sich nicht lange. Durch die Räume ging ein
Zauber, dem man sich gefangen gab. Die Ausstellung enthielt nicht
nur Bilder, auch Stoffe, Meubles, Gobelins. Ein kleines Rauchzimmer
war da, aus feinem Mosaik, arabisch, Lenbach’s Atelier entstammend:
weiss und blau und gold — ein fernes, traumhaftes Märchen. Unver-
ständliche Koransprüche waren in den Stein gewirkt. All die goldenen
Lettern schienen zu flüstern: Lebensfreude, Genuss.

Das war das grosse Wort der diesjährigen Ausstellung, das ist
es, was sie zur modernsten aller Ausstellungen, zu einer rechten

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 194, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-05_n0194.html)