Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 195

Jung-Münchens Kunst (Strindberg, Frieda)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 195

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JUNG-MÜNCHENS KUNST. 195

Münchner Ausstellung machte. Alles umschmeichelte den Schönheits-
sinn, Alles die Lebensfreude. Da waren plätschernde Cascaden zwischen
grünen Büschen und darum weisse Statuen. — Da war eine lange
Halle alter Gobelins, fein abgetönt, still, sänftigend, Damaststühle in
verblichenem Gelb, verblichenem Grün erhöhten die Wirkung. Und in
der Mitte ein Springbrunn: ein weites patinaüberzogenes Becken, über
das sich ein jugendschlanker Narciss von edelster Schönheit beugt. Die
Stadt München hat das Denkmal erworben.

Ein anderer Saal fand sich, von dessen Bogenfenster aus man
den botanischen Garten überblickt. Am schwarzen Eisenstabgitter
rankten Rosen empor. In einer Fensterecke stand eine antike Aphro-
ditenstatue — blüthenweiss, ein blüthengleicher Leib, neben ihm Purpur-
sammt mit Gold gestickt. Der Saal war mit Werken retrospectiver
Kunst voll. Von den Wänden leuchtete Tizian’s weisses Fleisch —
Rubens’ üppige Sinnlichkeit. Palmen neigten sich dazwischen. Die
Decke: tiefblaue Stukkatur mit Gold. Schräg den Raum abtheilend,
stand ein zartblauer japanischer Seidenschirm da dahinter alte,
braune Ledertruhen die Farben schlugen, hoben, vermählten sich
zu dem raffinirtesten Genusse, den die Neuzeit und vielleicht jemals
eine Zeit hervorgebracht.

Der moderne praktische Lebensgenuss, den die Ausstellung
lehrte, gipfelte in den beiden Zimmerchen, die von Münchener Künst-
lern eingerichtet waren. Jedes Stück darin war ein Juwel. Da hingen
Vorhänge mit Stickereien von Obrist, die ganz leichter Velvet waren
und wie schwere Peluche aussahen — da stand aus Zirbelholz ein
Bücherschrank, den Hans v. Berlepsch selbst gezeichnet, selbst ge-
schnitzt, gemalt, ja dem er sogar eigenhändig die eisernen Klammern
beigegeben. Leuchter und Teppiche, Tische, Schränke, Truhen —
nichts war in den Räumen, das nicht zugleich ein Meisterwerk ge-
wesen wäre.

Nicht mehr die Malerei um der Malerei willen — Kunst der
Kunst zuliebe! Bilder und Statuen waren nur mehr ein Theil des
Ganzen, und das Ganze sollte zu nichts dienen, als den Menschen mit
Schönheit zu umgeben, mit Genuss.

Die Göttin Kunst, zu der man früher betete, war eine Ewige.
Doch wir sind Alltags-, Eintagsmenschen. Und diesen einen Tag, den
wollen wir uns schmücken. Die vierundzwanzig Stunden müssen langen
zum Kämpfen und — zum Siegen.

Die natürliche Schlussfolgerung dieses allgemeinen Hastens, Ge-
niessenwollens ist eine leichtere Art und Gattung in der Kunst. Die
Dramatik wendet sich immer mehr dem Einacter zu, Skizze und
Feuilleton entfalten sich mehr und mehr.

Die modernsten Blätter bringen nur mehr kurze, concentrirteste
Geschichten; wir meinen die einzigen deutschen illustrirten Schriften,
die den Namen »modern« verdienen, die »Jugend« und »Simplicissimus«.
Und diese Geschichten, Lebensgeschichten, gibt zumeist die beigesellte
Zeichnung wieder.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 195, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-05_n0195.html)