Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 212

Künstlerherzen (Drachmann, Holger)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 212

Text

212 DRACHMANN.

wollte ja gerade »recht tief hinein in den Wald«. Dann gab es
dort Fliegen von einer Grösse und Farbe, wie man sie sonst nirgends
sieht, die ganz still in der Luft standen, mit in den Sonnenstrahlen
glänzenden und schillernden Flügeln, und dann plötzlich davon-
schossen, um den Wanderer herumschwirrten und surrten und in
ihm jene leisen pikanten Gefühle von Furcht für Nase oder Nacken
wach riefen. Die plötzlich von den Sonnenstrahlen getroffenen Baum-
stämme, tief drin im Walde, zu beiden Seiten, in all dem bräunlichen
und grünen Halbdunkel, wirkten auch anreizend auf die Phantasie.
Die Romantik ist mit dem Walde verknüpft, das ist nun ein- für allemal
klar. Und dann raschelte es auf eine mystische Weise in etwas dürrem
Laube, oder ein vertrockneter Zweig fiel irgendwo nieder: — das musste
natürlich ein »Thier« sein, das herangesprungen kam, obwohl es selbst-
verständlich gar keine Spur von Thieren in dem Walde gab. Uebrigens
herrschte da auch jenes unwiderstehliche Aroma von säuerlichem Dufte
aus der Feuchtigkeit des Unterholzes, die von der Sonnenwärme über
dem höheren Laubdache niedergehalten wird — und dann war es die
Stille, die Stille der Waldeinsamkeit, in der wir nach den gewöhnlichen
Vorstellungen dahinwandern und »uns verlieren«, die aber vielmehr dem
kleinen Wohl und Wehe unseres lieben Wesens jenes so bezaubernde
Relief verleiht, die uns in so eigenthümliche Vorstellungen darüber
einwiegt, wie wenig uns doch eigentlich die übrige Welt angehe und
wie sie doch so ganz nur für uns selbst geschaffen sei.

Oh du unser liebes, kleines, eigenes Ich, du verschwindest wahr-
lich nicht in der Einsamkeit; du wirst im Gegentheile so eigen gross
im Walde!

— Und da war ich mit einem Schlage wieder am Rande des
Waldes. Der Weg hatte eine Krümmung gemacht, und mit der Un-
endlichkeit hatte es rasch ein Ende genommen. Aber mir war so wohl
zu Muthe, dass ich hierüber keine Betrachtungen weiter anstellte,
sondern mich auf eine Graserhöhung unter einem der grössten Bäume
niederwarf und mir eine Cigarre anzündete.

Hätte ich mich erhoben, oder wäre ich stehengeblieben, so hätte
ich eine freie Aussicht über den Abhang der Anhöhe hinab, über die
letzten Häuser im Dorfe und hinaus über das Meer gehabt. Aber ich
blieb gerade liegen, weil ich eben nur den Wald sehen wollte, der sich
in weitem Bogen von den Feldern zurückzog, und weil ich nur jenen
summenden, duftenden, sonnenwarmen Eindruck von etwas haben wollte,
was die Unruhe der Wissbegier, welche menschliche Wohnungen und
das Meer hervorrufen, völlig umschliesst.

Und während ich so lag, bald auf dem Rücken, bald auf der
Seite, je nachdem mich der Untergrund meines Lagers, die alten
knorrigen Wurzeln, am wenigsten genirte, und während sich der Rauch
meiner Cigarre in blauen Spiralen langsam hinauf nach den leise
rauschenden Baumkronen verzog, da war es, dass ich meinem Taschen-
buche eines meiner schönsten Lieder, mein erstes Gedicht aus dieser
Sommerfahrt anvertrauen konnte.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 212, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-06_n0212.html)