Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 213

Künstlerherzen (Drachmann, Holger)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 213

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KÜNSTLERHERZEN. 213

Und als ich das gethan und gehörig gefeilt, ausgeputzt und ver-
bessert hatte — Improvisationen sind nicht immer so gleich improvisirt
— da tauchten auf einmal da drüben, rechts über dem Rande der
Höhe, zwei Sonnenschirme auf, welche ziemlich rasch zu zwei Damen-
gestalten emporwuchsen, die gerade auf mich zugeschritten kamen.

Was thut man in einer solchen Lage? Ja, was thust Du, lieber
Morten, der Du trotz Deines plebejischen Namens es immer verstehst,
Dich so ausgesucht elegant zu benehmen? Es ist keine so leichte Sache
für eine einigermassen wohlgewachsene Mannsperson, sich mit einem
Rucke — auf eine geziemende und elegante Weise — vor den Augen
junger Damen zu erheben. Der Daliegende ist in einem solchen Falle
immer der absolut schwächere Theil.

Na, ich entschied mich dafür, liegen zu bleiben, wie ich lag;
d. h. ich schlug die Beine übereinander, streckte die äussersten Stiefel-
spitzen nach vorn — man darf niemals die Sohle sehen lassen — und
suchte, indem ich mich auf den Ellbogen stützte und die Hand unter
das Kinn legte, mir ein so zerstreut interessantes Aussehen wie nur
möglich zu geben; nun konnten mich die Damen betrachten oder es
auch sein lassen, ganz wie sie wollten.

Wann ist doch der Mensch sich selbst gleich? In der Wüste
vielleicht; aber sicherlich nicht in einem unserer Wälder, wo uns
Jemand oder etwas treffen kann.

Als die Damen vorübergingen, unterbrachen sie ihre Unterhaltung.
Ich hatte ein Gefühl, als ob die eine meiner Stiefelspitzen doch ein
klein wenig zu weit vorragte, und zog sie an mich. In demselben
Augenblicke sah die eine Dame — die mir nächste — auf mich; und
als sie einige Schritte weiter gegangen war, wandte sie ihren Kopf halb
um und sandte mir aus ihrem Augenwinkel einen Blick zu, der be-
wirkte, dass mir das Blut in die Wangen stieg und ich beide Stiefel
an mich zog — ohne Rücksicht auf die Sohlen zu nehmen. Ich
fühlte mich nach jener Seite zu hingezogen, wo die Damen ver-
schwunden waren.

Ihr Blick war kalt und klar, trotz aller Schönheit und Liebens-
würdigkeit, ja trotz der Schelmerei, die ihn umgab. Die Kälte und
Klarheit bemerkte ich nicht weiter; die Schönheit aber sah ich und
den Blitz hatte ich aufgefangen:

Ich will dich haben!

Meine erste Bewegung war, auf die Beine zu kommen, und meine
nächste Eile bestand darin, den Damen nachzufolgen. Aber ich be-
dachte mich.

Verjüngt war ich diesen Vormittag worden, aber doch nicht
so jung, dass ich mich nicht hätte bedenken sollen. Wer waren diese
beiden jungen Damen? Aufrichtig gesprochen, stellte ich mir diese
Frage nicht so sehr um der einen willen. Oh, wer kannte sie nicht,
diese sanftmüthig-bescheidenen, reizenden jungen Mädchen, Töchter
kleiner Provinzbeamten, die am Familientische am Abende Walter
Scott’s und Ewald’s Romane laut lesen und die niemals, wie man sie

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 213, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-06_n0213.html)