Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 224

Ein Märtyrer der Literatur (Steinbach, Josef)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 224

Text

EIN MÄRTYRER DER LITERATUR.
Von Josef Steinbach (Wien).

In Temesvár, hart am Bahngeleise, wie die beflügelte Kunde der
Blätter ging, hat ein mit dem unholden Schicksal verzweiflungsvoll
Ringender gewaltsam ein Leben beendet, dem mehr als eine Thräne
stiller Erinnerung gebührt. Der glänzende Nachsänger ungarischer
Weisen hat ein Anrecht auf das wehmüthige Gedenken vor Allen
jener Oeffentlichkeit, der er vermöge seiner literaturgeschichtlichen
Stellung angehört. Allgemeiner und umfassender aber wird die schmerz-
liche Trauer um Max Farkas durch die erschütternde Tragik des
Unterganges, die ganz zu ermessen und zu würdigen freilich nur Jene
vermögen, denen der weltscheue und verschlossene Mann in weichen
Stunden innerlichen Aufthauens Einblick in sein martervolles Dasein
gewährt. Ein knorriger Körper mit träumerisch singender Seele, war
er wie geschaffen, die Jahre Petrus’ zu erleben; der verwüstende Kampf
um das kümmerliche Brot hat ihm vorzeitig den stämmigen Körper
gebrochen und die singende Seele zerrissen. Mit 46 Jahren flüchtete
er, müd’ aller Unbill und Drangsal, ruhelechzend hinter das erlösende
Bahrtuch. Leider trug dieser Heros der Noth, wie es ja zum Begriffe
der Tragik gehört, die Voraussetzung derselben, die unbewusste Schuld,
zum guten Theile in der merkwürdigen Eigenart seines Wesens. Farkas
war die Verkörperung der edelsten, aber auf der lärmenden, von
tausend selbstsüchtigen Trieben durchwühlten Kampfstätte des Lebens
zum Wettbewerb geradezu unfähigsten Naivetät. Im Gefühle der starken
dichterischen Veranlagung, die seine Seele durchloderte, und der frucht-
baren poetischen Arbeitskraft, die alle Stürme der nervenverheerenden
Nahrungssorgen niederrang, hielt er sich freiwillig an ihn herantretender
Beachtung für werth genug, um die Erleichterung seines Loses nicht
erst vielleicht bei geringschätzigem Hochmuth erbetteln zu müssen.
In seiner männlich-stolzen Herzenseinfalt, in seinem falschlos biederen
Geradsinn glaubte er wirklich und wahrhaftig an die an und für sich
schon lohnsichernde Zauberkraft anerkennenswerther Leistungen, ohne
zu ahnen, wie selten dem Verdienste seine Krone, und wie häufig der
Bückling zum gekrönten Verdienste wird

Farkas war das Kind kleiner landwirtschaftlicher Verhältnisse
Oberungarns, und die Liebe zur Natur blieb sein kostbares Angebinde
auch da noch, als er im Drange nach höherer Ausbildung die heimat-
liche Scholle mit der Stadt vertauscht hatte. Mit leidenschaftlichem
Heimweh zog es ihn immer wieder aufs Land — »ins Land der
Freiheit«. Wald und Flur, Amsel und Fink waren seine vertrautesten
Genossen. Systematische Vorbildung hatte er nur eine kurze Strecke
weit genossen, aber an seiner Vervollkommnung baute er unermüdlich

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 224, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-06_n0224.html)