Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 225

Ein Märtyrer der Literatur (Steinbach, Josef)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 225

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EIN MÄRTYRER DER LITERATUR. 225

weiter, und in der Literatur, zumal der deutschen, hätte er, gross-
gesogen an vornehmen Mustern, einer Mittelschulprofessur alle Ehre
gemacht. Er war ein Autodidakt, der mit dem Herzen gelernt und
jeden Lehrzwang wie einen Tyrannen gehasst. Daher kommt es auch,
dass er, der die Perlen seiner vaterländischen Dichtkunst, in blendende
Rhythmen gefasst, der deutschen Lesewelt wie aus einem Füllhorn zu-
gestreut, trotz alles fachlichen Rüstzeugs des Pädagogen es nicht einmal
zu einem armseligen Schulmeisterpatent gebracht hatte. Tief gedemüthigt
empfand er diesen brennenden Stachel sein Lebelang im Herzen. Und
meine diesem nagenden Weh entgegenbrachte menschlich-warme Theil-
nahme war die Grundlage seiner mir bis in den selbstgewählten Tod
treulich bewahrten dankbaren Gesinnung

Der Noth gehorchend und dem eigenen Triebe, liebte er es denn
als Erzieher und Hauslehrer nicht in der Stadt, sondern auf seinem
vergötterten Lande zu wirken, wo er neben dem Broterwerb mit
Nachtigall und Wildbach Zwiesprach’ halten konnte. In einer dieser
Stellungen lernte ich ihn vor beiläufig anderthalb Decennien kennen.
Er hatte seltsamerweise meine kleine, anspruchslose Sammlung von
Uebersetzungen ungarischer Poeten, die »Heimatsklänge«, gelesen, kannte
mich also von »Nam’ und Art« und fühlte sich sympathisch zu mir
hingezogen. Wenn er das drückende Joch drillender Wochenarbeit ab-
schütteln durfte, eilte er buchstäblich auf Flügeln des Gesanges zu mir
nach der Stadt und schwelgte in ungezwungenem Austausch von
literarischen Arbeiten und Plänen. Besuche waren ihm in der Seele
verhasst. Einladungen floh er wie den Aussatz. Bei mir sass er nach
schlichtem, einfachem Mahle stundenlang in qualmendem Cigaretten-
dampf und sang mir die herrlichsten Lieder vor, ungesehen, welt-
abgeschieden wie die Drossel im hüllenden Gebüsch. Bei einer solchen
Gelegenheit las er mir ein wahres Juwel der Uebersetzerkunst: »Die
Barden von Wales« von Altmeister Johann Arany vor, das unveröffent-
licht, zweifellos in seinem Nachlass zu finden sein muss. »Die Barden von
Wales« sind eine nicht bloss in der ungarischen, sondern auch in der Welt-
literatur nur wenigen ihresgleichen begegnende Ballade von grossartiger
Conception.

Ein Shakespeare’sches Dramengemälde von Macbeth’schem Düster
in die knappe Form der kleineren Gattung gepresst. Comprimirte Tra-
gödie. Sprachkünstlerisch daher eine alle Register der Begabung heraus
fordernde Meisterprobe, wenn anders die dunkelwogende Gedankenfluth
und die funkelnde Technik sich die Waage halten sollen. Mit ange-
haltenem Athem lauschte ich der bezaubernden Schönheit der farben-
treu wiedergegebenen Seelenmalerei und dem berückenden Klange der
Reime, die als Mittel- und Endreime angeordnet, dem taktmässigen
Gehämmer auf dem Amboss einer Schmiede glichen. Im Nachgenuss
versunken, schwieg ich lange, nachdem er geendet hatte. Er merkte
mein inneres Entzücken und meinte beziehungsvoll: »Seltsam, wie ver-
schieden die Menschen doch gemessen; wenn mich etwas packt, werde
ich förmlich in die Höhe gerissen!« Um nun meiner wider Willen ver-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 225, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-06_n0225.html)