Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 226

Ein Märtyrer der Literatur (Steinbach, Josef)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 226

Text

226 STEINBACH.

haltenen Anerkennung nicht gerade allzu plumpen, aber doch lauten
Ausdruck zu geben, beeilte ich mich, wie umschreibend, an ihn die
Frage zu richten: »Gelingt Ihnen das leichtere Caliber, das Zartere,
das Volksthümlichere auch immer so ganz aus einem Gusse?« —
»Wenn ich nicht just mein Hemmungsquartal habe!« entgegnete er
sichtlich befriedigt. »Nur eins,« fuhr er fast ungehalten fort, »trotzt
mir, wie es noch allen Anderen getrotzt, und doch wälze ich das
winzige Ding seit Monaten im Kopfe herum.« — »So? Und wie heisst
denn das widerspenstige Kind?« frug ich jetzt aus plötzlich gewecktem,
praktischem Kunstinteresse. — »Sie kennen das kleine, neckische Lied,
wo Petöfi den Burschen unvermittelt zu dem Mädchen in die Küche
biegen lässt: das habe ich in Dutzenden Varianten angestimmt, aber
es will mir nicht glatt und rein aus der Kehle!« — »O, wer hätte sich
daran nicht schon versucht!« sagte ich offenbar im Tone eines ge-
troffenen Gewissens. Er horchte auf und drang mit lebhaftem Eifer in
mich: »Wenn Sie das übersetzt haben, müssen Sie es mich hören
lassen, schon um des Vergleiches willen!« und bat immer dringender,
es ihm zu lesen. Zum Zeichen meines Dankes für den mir bereiteten
Hochgenuss und zugleich zur psychologischen Probe auf sein vorhin
erwähntes seelisches Verhalten, suchte ich das kurze, zum Volkslied
gewordene Gedicht, das seiner specifisch nationalen Spiessigkeit wegen
in der That der Schrecken aller Uebersetzer war, schliesslich heraus
und las es ihm vor. Da das Liedchen auch heute noch ungedruckt
ist, lege ich es dem wackeren Todten, dem es einen Augenblick neid-
losen Vergnügens verschafft, als unberührten Blüthenzweig auf das
kahle, verlassene Grab:

1. Ich schwenkte in die Küche ein,
Mein Pfeifchen anzuzünden;
Das heisst, ich nahm das nur zum Schein,
Um mich dort einzufinden.

2. Mein Pfeifchen brannte wohlgemuth,
Mich zog’s aus andern Gründen:
Ich sah ein holdes, junges Blut
Am Herde Feuer zünden.

3. Das Dirndel blies die Funkenschaar
Zu hellem Brand zusammen,
Doch brannten ihr im Augenpaar
Juchhe! Noch heisse Flammen.

4. Ihr Zauberblick hielt mich gebannt,
Als wir einander nahten;
Erloschen war der Pfeife Brand,
Mein Herz in Brand gerathen.

Wie ein verzückter Derwisch bei den beschwingenden Lauten
einer koranischen Sure wirbelte er im Zimmer umher und rief in
ekstatischer Uebertreibung: »Columbus, Columbus! Ja, so wächst’s auch
in Kärnten nicht schöner!«

Kurz darauf kam er mit dem strahlenden Gesicht eines Freiers
und warb um meine Mitarbeiterschaft an einem grossangelegten Werke.
Er hatte zu Ludwig Aigner in Budapest, einem der wenigen Verleger,
die selbst schaffend in die Literatur eingegriffen und der in Ungarn
eine angesehene Doppelstellung als Literat und Verlagsbuchhändler ein-
nahm, engere Beziehungen gewonnen und hoffte in ihm, der rathend
und helfend schon einer Reihe von jungen Autoren die Wege zum
Parnass geebnet, einen hilfreichen Gönner zu finden, der auch ihn aus
dem Jammerthale knechtischen Daseins zu den lichten Höhen einer

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 226, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-06_n0226.html)