Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 228
Text
echter Ueberzeugung gehaltene anerkennungsvolle Begutachtung einer
Sammlung von beiläufig 300 handschriftlichen ungarischen Volksliedern
— deren deutsche Manuscripte einen namhaften Theil des Farkas’schen
Nachlasses bilden müssen — konnte seinem wankenden Glauben keine
Stütze und seinem verdüsterten Gemüth keinen Trost mehr bieten. Er stand
haltlos wie ein vom Erdbeben in den Wurzeln getroffener Felsenstrauch
Sein hilfloses Leid schmerzte mich tief. In Rückerinnerung an
ein in den glücklichen Tagen allerdings vergessenes, ganz akademisch
geführtes Gespräch machte ich nun seine Sache ohne sein Vorwissen
zu meiner eigenen und wandte mich an einen meiner mir aus längst
verklungener Jugendzeit immer noch väterlich geneigt gebliebenen Lehrer,
der mittlerweile ansehnliche Carrière gemacht hatte und aus der be-
scheidenen Stellung eines einfachen Volksschullehrers zur Professur an
der Lehrerbildungsanstalt emporgestiegen war, als Fürsprech des un-
glücklichen Dulders. Ich bat ihn um seinen werthvollen Beistand bei
meinen leider wenig einflussreichen Bestrebungen nach Versorgung eines
auf dem Gebiete der Literatur überaus verdienstvollen, im Lehrfache
seit vielen Jahren thätigen, gereiften Mannes (dessen Leistungen, für
den Fall, dass sie ihm unbekannt geblieben wären, ich ihm im Drucke
unterbreitete) und fügte hinzu, es stünde vielleicht in seiner Macht,
Farkas unter Vermeidung all jener drückenden Umständlichkeiten, die
man ja jugendlichen Bewerbern mit Recht auferlegen mag, im Wege
eines verlockenderen Abkürzungsverfahrens ein simples Schullehrerdecret
erringen zu helfen, das dem braven Manne die einfachste Nothdurft
des Lebens sichern sollte. Mein alter Freund, correct bis in die Zehe,
versicherte mir, dass er, obgleich die vorgeschriebenen Formalitäten
als unabweisliche Anforderung des Staates unter allen Umständen er-
füllt werden müssen, dem Manne von so bedeutenden literarischen Ver-
diensten, der als Lehrer überdies vorgeschult — und ein willkommener
Bote meines ihm treu gebliebenen Vertrauens sein soll, zur Erreichung
des Zieles gerne die Hand bieten werde, er möge nur kommen!
Niemand war glücklicher als ich. Ich sehnte mich nach dem
Augenblick, Farkas mit der frohen Botschaft überraschen zu können.
Er kam. Ich legte ihm den Brief vor. Ein Strahl der Seligkeit über-
flog sein Gesicht — dann verdunkelte es sich, und eine grosse Thräne
starrte ihm im Bart. »Nun, was soll das?« rief ich mit erkünsteltem
Unmuth. »Diese Spottkleinigkeit werden Sie doch zuwege bringen!«
»Ich kann nicht, ich kann wahrhaftig nicht,« sprach er wie mit ent-
schuldigender Weichheit. »Gewiss,« fuhr er fort, »war es immer meine
einzige Sehnsucht und wäre sicherlich mein einziges Heil — aber ich
kann nicht mehr! Nochmals auf die Schulbank! Wieder aus der Stellung
— und dann mittellos Wochen, vielleicht Monate in der Grossstadt —
es geht wirklich nicht!« »Man wird helfen,« ermunterte ich, »aber wo
es einen Lebensgewinn gilt, muss man doch ein bischen eigene Kraft
einsetzen!« »Ich dächte,« erwiderte er, »der Minister könnte mir als
kärglichen Lohn für meine Arbeiten, die doch der Heimat zugute
kommen, das Examen nachsehen und das Décret schenken.« »Das kann
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 228, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-06_n0228.html)