Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 229

Ein Märtyrer der Literatur (Steinbach, Josef)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 229

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EIN MÄRTYRER DER LITERATUR. 229

kein Minister der Welt!« glaubte ich einwenden zu sollen. »So?« hub
er jetzt in bitterem Widerspruch mit seiner sonst so milden, treuherzigen
Art den Ton, »So? Ich kenne die verantwortungsreiche Stelle des
Lehrers, aber es gibt verantwortungsreichere Stände, als es der Lehrer-
stand ist, es gibt Aerzte, Apotheker, Baumeister etc., und wie oft ward
das formale Gesetz durchbrochen, um unwissenden und unverdienten
Curpfuschern, Dürrkräutlern und Polieren das Recht einzuräumen, für
das Andere ein Leben voll Studiums eingesetzt?«

Er hatte mir die Waffe aus der Hand geschlagen; ich schwieg
wie ein Besiegter.

Nach Jahren wanderte Farkas nach einer anderen Himmelsgegend,
aber die Himmelsgegend seines Glückes war es nicht. In Temesvár,
hart am Bahngeleise, wie die beflügelte Kunde der Blätter ging, hat
der mit dem Schicksal verzweiflungsvoll Ringende gewaltsam ein Leben
beendet, dem mehr als eine Thräne stiller Erinnerung gebührt
Sein Mund ist verstummt, und die ungarische Poesie hat vielleicht ihr
klangreinstes deutsches Echo verloren. Die Petöfi-Gesellschaft, die
Hüterin der grossen Geistesschätze des Dichters, unter dessen Namens-
patronanz sie steht, hat Farkas vollständig unbeachtet gelassen. Und
doch, wann und wo gab’s Einen in ihrer Mitte, der die goldenen Lieder
des Meisters in so poesiereichen, schwungvollen Cadenzen in die
Fremde hinausgeschmettert? Wo gibt’s Einen in ihrem Schosse, der
das Original in Tönen von so ausgeglichener Schöne nachgesungen,
wie Farkas? Ich greife wahllos ein Muster heraus, von dem ich Raum-
mangels halber nur Anfang und Ende wiedergebe:

1. Fluren des Ostens
Gleicht mein Gemüthe,
Fluren von ewigem Frühling umglüht;
Was nur der Himmel
Spendet der Erde:
Liebliche Blumen sind mir erblüht.

2. Eine nur fehlte,
Blume des Glaubens,
Glauben an überirdisches Sein;
Nun ist auch diese
Herrlich ersprossen:
Zärtliche Liebe pflanzte sie ein.

6. Aber das Eine
Wüsste ich gerne:
Wo sie zu finden? Was sie enthält?
Wie wir gestaltet
Einstens gelangen
Dort in die schöne, selige Welt?

7. Ob wir, wie Falter
Blume für Blume,
Goldene Sterne kreisend umzieh’n,
Oder im Meere
Ewiger Zeiten
Sanft wie die Schwäne gleiten dahin?

Die Petöfi-Gesellschaft trifft ein harter Vorwurf. Sie wie kein
Anderer war berufen, den fahrenden, sozusagen obdachlos irrenden
Künstler an ihre Fersen zu ketten und ihn, entrückt den lähmenden
Sorgen um den morgenden Tag, in irgend einer noch so geringen
Sinecure sesshaft zu machen. Freilich war Farkas zu stolz, um bettelnd
an ihre Thüre zu pochen, aber ihre Mission ist es, über den wahren
Aposteln ihres literarischen Religionsstifters zu wachen, und seine von
echter Vocation widerhallenden Leistungen tönten ihr unüberhörbar
aus der weiten Welt ans Ohr. Sie musste ihn suchen — er hätte sich
finden lassen. Sie hätte ihn glücklich und sich an Glanz und Ehren
reicher gemacht.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 6, S. 229, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-06_n0229.html)