Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 8, S. 318

Operntheater Deutsches Volkstheater

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 8, S. 318

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318 NOTIZEN.

Instrumentalisten mit grosser Dis-
cretion, aber um so wirksamer
verwendeten Instrumente, wird
arger Missbrauch getrieben. »Die
Bohème« Leoncavallo’s ist ein
Werk, das den Erfolg von
vorneherein anstrebt, lange kein
solches, aus dem der Zuhörer er-
fährt, was ein Künstler in weihe-
vollen Stunden erlebt und ersonnen.
Ein Kunstdecoct, in ununter-
brochenem Gedenken an das liebe
Publicum zurecht gemacht, und
ihm gewidmet. Darum vermag es
auch tiefere künstlerische Er-
wägungen nicht wachzurufen.

G. S.

Deutsches Volkstheater.
»Das Ende der Liebe« Satiri-
sche Komödie in vier Acten von
Roberto Bracco. Deutsch von Otto
Eisenschitz.

Bracco ist das, was man vor
dreissig Jahren einen geistreichen
Feuilletonisten nannte. Abge-
schmackte Sprünge von einem Zu-
fallseinfall zum andern verschafften
den Ruf einer leichten Feder und
regten beim Leser das an, was
man damals für Phantasie hielt.
Ein einfaches Pluszeichen genügte,
um die disparatesten Sächelchen
als verknüpft erscheinen zu lassen.
Während die moderne literarische
Richtung Alles herbeiholt, was
auch nur im Entferntesten zu
einem Ereignisse iu Beziehung
steht und so die Ursachenreihe
sorgfältig bis zur kleinsten zurück-
verfolgt, schob man in der ver-
flossenen geistreichen Literatur-
periode den geschilderten Menschen
und Dingen willkürliche Beweg-
gründe und Ursachen unter, und
der literarische Held des Tages
war der, welcher die verblüffendsten
Absurditäten mit Ernst und Pathos

zu umnebeln verstand. Dabei musste
Alles einen süsslichen Beigeschmack
erhalten. Bei Ibsen, von dem zu
jener Zeit schon eine stattliche
Reihe Theaterstücke im Buchhandel
erschienen war, schüttelten sich
seine wenigen Leser wie beim Ge-
nusse von Leberthran. In Italien,
wo Verga die modernen Grenzen
des literarischen Schaffens energisch
abgesteckt hat, gibt es für Bracco,
einen jungen Alten, wenig Boden
mehr. Sein »Ende der Liebe«
wurde vor einigen Monaten in
mehreren grossen Städten seines
Vaterlandes erbarmungslos nieder-
gezischt, und so ist er darauf an-
gewiesen, sich ans Ausland, dorthin,
wo noch genügend unmoderner
Bodensatz anzutreffen ist, zu wenden.
Die Seichtheit mit fremdländischem
Einschlag erweckt insbesondere in
deutschen Gauen noch immer den
Anschein geistiger Behendigkeit, ob-
wohl im modernen Sinne darin ge-
rade das Gegentheil erblickt werden
muss. Nicht das feige Hinwegtäuschen
über die Natur der Dinge oder
deren graziöse Verschiebung schafft
heute noch Literaturwerthe, sondern
das Auffinden eines anderen Weges,
als des rein wissenschaftlichen, zum
Wesen der Dinge — das Aufspüren
des künstlerischen Weges — der viel
unmittelbarer als jener der Erkennt-
niss dient, obzwar er nur die Bahn zu
einem anregenden Spiel zu sein
scheint. Entgegen dem früheren Be-
streben, geistreicher als das Leben zu
sein, will die moderne Richtung nur
die Aufnahmsfähigkeit verstärken,
indem sie den Geist und Sinn, der
auch in den gewöhnlichen Vor-
kommnissen noch unerkannt liegt,
aufscheinen macht. Was uns Herr
Bracco über das angebliche Ende
der Liebe zu sagen weiss, ist längst

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 8, S. 318, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-08_n0318.html)