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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 330

Text

330 HOFMANNSTHAL.

Die Frau.

Centauren seh’ ich einen nahen, Jüngling noch,
Ein schöner Gott mir scheinend, wenn auch halb ein Thier,
Und aus dem Hain, entlang das Ufer, traben her.

Der Centaur.
(Einen Speer in der Hand, den er dem Schmied hinhält.)

Find’ ich dem stumpfgeword’nen Speere Heilung hier
Und neue Spitze der geschwung’nen Wucht? Verkünd’!

Der Schmied.

Ob deinesgleichen auch, dich selber sah ich nie.

Der Centaur.

Zum erstenmale lockten mir den Lauf
Nach Eu’rem Dorf Bedürfniss, das du kennst

.

Der Schmied.

Ihm soll
In Kurzem abgeholfen sein. Indess erzählst
Du, wenn du dir den Dank der Frau verdienen willst,
Von fremden Wundern, die du wohl geseh’n, wovon
Hieher nicht Kunde dringt, wenn nicht ein Wunder kommt.

Die Frau.

Ich reiche dir zuerst den vollen Schlauch: Er ist
Mit kühlem, säuerlichem Apfelwein gefüllt;
Denn And’rer ist uns nicht. Das nächste Dürsten still’
Wohl etwa weit von hier aus bess’rer Schale dir
Mit heisserm Safte eine schön’re Frau als ich.

(Sie hat den Wein ans dem Schlauch in eine irdene Trinkschale gegossen, die er
langsam schlürft.)

Der Centaur.

Die allgemeinen Strassen zog ich nicht und mied
Der Hafenplätze viel vermengendes Gewühl,
Wo Einer leicht von Schiffern bunte Mär’ erfährt.
Die öden Haiden wählte ich zum Tagesweg,
Flamingos nur und schwarze Stiere störend auf,
Und stampfte Nachts das Haidekraut dahin im Duft,
Das hyacinth’ne Dunkel über mir.
Zuweilen kam ich wandernd einem Hain vorbei,
Wo sich zu flüchtig eigensinn’ger Lust gewillt,
Aus einem Schwärme von Najaden eine mir
Für eine Strecke Wegs gesellte, die ich dann
An einen jungen Satyr wiederum verlor,
Der syrinxblasend, lockend wo am Wege sass.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 330, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-09_n0330.html)