Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 341
Text
langsam hinschreite, bin ich oft von einer beweglichen Wolke von
ihnen begleitet. Sie spielen keine geringe Rolle auf meinen Wande-
rungen Morgens, Mittags oder nach Sonnenuntergang und beherrschen
oft die Landschaft in einer Weise, wie ich es mir nie vorher gedacht,
— füllen den langen Weg nicht zu Dutzenden oder Hunderten, sondern
zu Tausenden. Gross und lebhaft und schnell, mit einer wundervollen
Energie und einem lauten, anschwellenden Summen, dann und wann
bis zu etwas wie beinahe einem Schrei gesteigert, schiessen sie hin
und her, blitzartig, einander jagend und (kleine Dinger, die sie sind)
geben sie mir eine neue und ausgesprochene Empfindung von Kraft,
Schönheit, Leben und Bewegung. Sind sie in ihrer Paarungszeit? Oder
was bedeutet diese Fülle, diese Schnelligkeit, dieser Eifer, dieses
Schauspiel? Während ich vorwärts schritt, glaubte ich von einem be-
sonderen Schwarm gefolgt zu sein, aber nach genauer Beobachtung
sah ich, dass es eine rasche Folge wechselnder Schwärme einer nach
dem andern war.
Während ich schreibe, habe ich meinen Sitz unter einem grossen,
wilden Kirschbaume — der warme Tag ist gemildert durch stellen-
weise Wolken und eine frische Brise, die weder zu schwer noch zu
leicht ist — und hier sitze ich lang und lang, eingehüllt in das tiefe,
musikalische Summen dieser Bienen, die zu Hunderten um mich her
flirren, schaukeln, auf und abschiessen — dicke Kerle mit lichtgelben
Jäckchen, mit grossen, schimmernden, schwellenden Körpern, dicken,
rundlichen Köpfen, seidigen Flügeln, und surren unaufhörlich ihr
reiches, sanftes Sumsum. (Ist darin nicht eine Andeutung für eine
musikalische Composition enthalten, zu der es der Grundton wäre? So
etwas wie eine Hummelsymphonie?) Wie das alles mich nährt, be-
schwichtigt, in der Weise, deren ich am meisten bedarf; die freie
Luft, die Roggenfelder, die Apfelgärten. Die letzten zwei Tage waren
vollendet an Sonnenschein, strömender Luft, Wärme und Allem; es
gab nie vollkommenere Tage, und ich habe sie wundervoll genossen.
Meine Gesundheit ist ein wenig besser und mein Gemüth beruhigt.
(Und dennoch ist der Jahrestag des traurigsten Kummers und Ver-
lustes in meinem Leben ganz nahe.)
Noch eine Aufzeichnung, wieder ein vollkommener Tag; Vor-
mittag zwischen 7 und 9, zwei Stunden eingehüllt in das Summen der
Hummeln und die Musik der Vögel. Unten in den Apfelbäumen und
in einer benachbarten Ceder waren drei, vier braunrückige Drosseln,
jede sang ihr Bestes und trillerte in einer Weise, die ich nie über-
troffen gehört habe. Zwei Stunden überliess ich mich ganz dem Genuss,
ihnen zuzuhören und lässig die Scene in mich einzusaugen. Beinahe
jeder Vogel, habe ich beobachtet, hat seine eigene Zeit im Jahr —
oft nur auf wenige Tage beschränkt — wann er am besten singt —
und nun ist die Zeit dieser Braunrückigen. Mittlerweile den ganzen
Weg auf- und niederschiessende, summende, musikalische Hummeln. Wieder
ein grosser Schwarm, als Gefolge für meinen Rückweg mit mir entlang
zu ziehen wie zuvor.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 341, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-09_n0341.html)