Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 349
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wissensbisse. Wenn unter diesen Einsendungen, die ungelesen zurück-
gehen müssen, einmal ein grosses, weltbedeutendes Werk wäre? Wenn
ich mir da unwiderruflich ein glänzendes Geschäft hätte entgehen
lassen? Und doch, ich kann mir nicht helfen. Wenn ich den gesammten
Einlauf prüfen lassen wollte, müsste ich mir zehn literarisch geschulte
Leute aufnehmen. Und das geht ja nicht. Ich mache freilich öfters
Stichproben in den Manuscripten der Ungekannten, doch was ist das?
Ein Tropfen im Meere.«
»So wie Sie gehen ja die meisten Herren Verleger vor, und
trotzdem ist die Ueberproduction so erschrecklich gross.«
»Daran krankt ja das ganze Verlagsgeschäft. Die anständigen
Verleger und die anständigen Schriftsteller müssten ein Cartell schliessen.
Die näheren Bedingungen und Formen schweben mir erst unklar vor
Augen, aber gegen die gewissen Verleger und die gewissen Auch-
Literaten müsste Stellung genommen werden. So ein Dichterling zahlt
die Druckkosten, womöglich auch noch eine separate Entschädigung,
und der Verleger deckt den Schund mit seinem Namen. Natürlich gibt
es immer Leute, die den Schwindel nicht kennen und unglückseliger-
weise so ein Buch kaufen. Und ich sage Ihnen, ein Mann aus dem
Mittelstande, der einmal so hereingefallen ist, gibt lange Zeit kein
Geld für Bücher aus.«
Das war ein Kehrbild.
Der dritte Mann, bei dem ich vorsprach, ist bekannt als wage-
rnuthiger Verleger der jungen Namenlosen, die vielleicht eines Tages
berühmt sein werden. Er ist ein sehr resignirter Herr, der viel Undank
erfahren hat. Auf diese Art ist es freilich nicht schwer, Philosoph zu
werden. Wenn er bei einem Anfänger ein bischen ursprüngliches Talent
entdeckt, so scheut er keine Kosten und gibt ihn heraus. Hat der
Debütant keinen Erfolg, so zahlt der Verleger darauf, hat der De-
bütant Erfolg, so geht er in den meisten Fällen mit seinem nächsten
Buche zu einem grösseren Verleger.
Dennoch gibt der gute Mann das undankbare Geschäft nicht
auf. Seine Feinde behaupten, er wäre ein Idealist. Aber ich will ihn
wahrhaftig nicht beleidigen. Immerhin darf ich seine strenge Ehren-
haftigkeit nicht unerwähnt lassen. Ein Buch, in dem er kein Talent
findet, würde er nicht um alles Geld in seinen Verlag nehmen.
Ich höre ihm gerne zu, wie er anspruchslos mit seiner ange-
nehmen, ein wenig belegten Stimme von seinen Erfahrungen und
Grundsätzen plaudert. Schliesslich fordert er mich auf, mit ihm in die
»Todtenkammer«, wie er es lächelnd nennt, zu gehen. Das ist ein
hohes, mächtiges Magazin, ganz angepfropft mit Büchern. Nachdenklich
gehe ich durch den unheimlichen Raum und lese neugierig die Bücher-
titel. Da sind bekannte und vergessene Namen, Gedichtsammlungen
aus verschollenen Frühlingen, bewegte Dramen aus fruchtlosen Revolu-
tionen und tändelnde Liebesgeschichten, die über Nacht ergraut sind.
Jetzt sind sie alle hier friedlich vereinigt und verleben ein würde-
loses Alter.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 349, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-09_n0349.html)