Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 12, S. 454
Verse zum Gedächtnis eines Schauspielers (Hofmannsthal, Hugo v.)
Text
Er losch auf einmal aus so wie ein Licht.
Wir trugen alle wie von einem Blitz
den Wiederschein als Blässe im Gesicht.
Er fiel: da fielen alle Puppen hin,
in deren Adern er sein Lebensblut
gegossen hatte, lautlos starben sie,
und wo er lag, da lag ein Haufen Leichen,
wüst hingestreckt: das Knie von einem Säufer
in eines Königs Aug’ gedrückt, Don Philipp
mit Caliban als Alp um seinen Hals,
und jeder todt, o todt wie eine Ratte!
Da wussten wir, wer uns gestorben war:
der Zauberer, der grosse, grosse Gaukler!
Und aus den Häusern traten wir heraus
und fingen an zu reden, wer er war.
Wer aber war er und wer war er nicht?
Er kroch von einer Larve in die andre,
sprang aus des Vaters in des Sohnes Leib
und tauschte wie Gewänder die Gestalten.
Mit Schwertern, die er kreisen liess so schnell,
dass Niemand ihre Klinge funkeln sah,
hieb er sich selbst in Stücke: Jago war
vielleicht das eine, und die andre Hälfte
gab einen süssen Narren oder Träumer.
Sein ganzer Leib war wie der Zauberschleier,
in dessen Falten alle Dinge wohnen:
er holte Thiere aus sich selbst hervor:
das Schaf, den Löwen, einen dummen Teufel
und einen schrecklichen, und den, und jenen,
und dich und mich.
Sein ganzer Leib war glühend
von innerlichem Schicksal durch und durch
wie Kohle glühend, und er lebte drin
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 12, S. 454, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-12_n0454.html)