Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 491

Ein Besuch bei Johannes Brahms (Behrend, Wilhelm)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 491

Text

EIN BESUCH BEI JOHANNES BRAHMS. 491

Publikum einnimmt. — Eigentlich schön — was?« Und Brahms
sah mich mit schelmischem Blick an — »es ist ist »

»Harte Musik,« sagte ich zögernd.

»Ja, richtig: harte Musik — und doch interessirt er, weil er
etwas Eigenes hat. Wenn Einer käme, der noch dazu Schönheit
hätte — wie würde ich mich freuen!«

In dieser Verbindung wurde auch Grieg als ein Musiker genannt,
der allein von seinen Werken lebte. — »Und bedenken Sie, er schreibt
nichts mehr, und erinnern Sie sich, wie wenig und wie eigenartig er
componirt hat, aber nur, weil er etwas für sich hat «

Dann erwähnte Brahms noch als eine bedeutende ausländische
Kraft Tschaïkowsky, der nun auch in Wien gespielt würde — und
kam dann auf seine Klage zurück über die vielen jämmerlichen Musiker
der Gegenwart.

»Schade, dass unser alter Hartmann in Deutschland so wenig
bekannt ist.«

»Ja, ich kenne ihn und seine Musik. Das ist ein ausgezeichneter
alter Kerl. Aber warum hat er all diese Ballets geschrieben, die können
hier ja nicht eingeführt werden.«

Ich nannte »Wala’s Weissagung«.

»Na ja, das ist dasselbe. Was sollen wir mit diesem altnordischen
Text anfangen, den kein Mensch versteht und der noch unbegreiflicher
wird, wenn man ihn in’s Deutsche übersetzt.«

Brahms plauderte noch weiter über Hartmann, plötzlich aber
fuhr er auf, sah nach seiner Uhr, die in einem Etui auf dem Clavier
stand, sagte einige freundliche Worte, dass die Zeit so schnell ver-
flossen wäre, und dass er sich umkleiden müsste, da er mit einigen
Freunden in der Stadt essen sollte. Und unter vielen Entschuldigungen,
die mich ganz verlegen machten, reichte er mir zum Abschied ein
paar Notenzeilen, um die ich ihn gebeten hatte, fragte, wie lange ich
in Wien bliebe und sprach die Hoffnung aus, mich irgendwo zu treffen.

Leider bekam ich Brahms nicht mehr zu sehen.

Im Entrée standen wartend zwei elegant gekleidete, grosse, hagere
Männer mit feierlichen Mienen. Sie gehörten zweifellos zu dem Typus:
Engländer, die reisen, um lebende und todte Sehenswürdigkeiten zu
sehen. Der Eine stand vor dem Spiegel und kämmte und bürstete
sorgfältig Haar und Bart. Mir kamen diese steifen, ernsten Herren,
die sich zu einer Audienz vorbereiteten, in diesem Augenblicke so komisch
vor, theils weil ich wusste, dass sie Brahms wohl in noch tieferem
Negligé antreffen würden als ich, im Begriffe, seine Staatskleider
anzuziehen und kaum zu längerer Unterhaltung aufgelegt, theils weil
ich durchaus nicht mehr das Gefühl hatte, Angesicht zu Angesicht mit
einem »grossen Manne« gestanden, sondern den angenehmen und herr-
lichen Eindruck, eine Stunde in lebhaftem Gespräche mit einem liebens-
würdigen und klugen Menschen verbracht zu haben, der sich für das-
selbe interessirte wie ich.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 491, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-13_n0491.html)