Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 490

Ein Besuch bei Johannes Brahms (Behrend, Wilhelm)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 490

Text

490 BEHREND.

»Schade, dass Sie nicht gestern herkamen!« rief Brahms eine
Weile später, dann hätten sie einen echten Musiker kennen gelernt,
einen prächtigen Menschen, Anton Dvořák. Er war gestern gerade
bei mir und bleibt ein paar Tage hier in Wien.«

Ich fragte, ob Dvořák nicht eine Stellung in Amerika hätte.

»Nein, nein, die hat er aufgegeben. Uebrigens erst ganz kürz-
lich. Er hatte eine glänzende Stellung drüben. Aber er war nicht zu-
frieden. Es gibt dort kein wahres Kunstinteresse. Dvořák fürchtete,
sein Talent könnte in der Luft leiden und zugrunde gehen. Und er,
der Frau und sechs Kinder hat, beginnt nun in Prag von vorn. —
Ja, das hat er gethan, das ist hübsch, das ist künstlerisch
fügte Brahms mit warmem, bewunderndem Klang in der Stimme hinzu.

»Aber, kann ein Mann, wie Dvořák, vom Componiren leben?«

»Vielleicht schlecht genug; aber er ist doch Einer von denen,
welche die Musikhändler am liebsten haben wollen und die sie am
besten bezahlen. Die meisten jungen bekommen ja nichts für ihre
Musik, sie müssen in der Regel noch den Druck bezahlen. Na ja,
wenn sie so wenig taugt, wie es oft der Fall ist, oder wenn das
Publicum sich so wenig darum kümmert, ist es ja begreiflich genug.«

Längere Zeit und in sehr starken Worten beklagte sich Brahms
über die Menge mittelmässiger Musik, die geschrieben würde und ihm
haufenweise zugesandt. Er wies ringsum auf die Tische hin:

»Ich könnte Ihnen Proben genug davon geben. Von allen Enden
der Welt kommen sie, von Deutschland, England, Italien, Amerika,
und fragen mich, ob sie Talent haben! Ich weiss es nicht, was ich
dabei machen soll. Und wenn doch nur einmal Einer käme, der ein
hübsches Lied oder eine Sonate schreiben könnte, wie würde ich
mich freuen, und wie leicht würde ich ihm einen Verleger ver-
schaffen?«

Und Brahms sprach mehrmals, wie zu sich selbst, in weh-
müthigem Tone die Worte: »Wie würde ich mich freuen!«

Ich schob die Bemerkung ein, dass vielleicht das eine oder andere
neuere dänische Werk ihm diese Freude bereiten könnte, aber Brahms
fürchtete offenbar, noch mehr Musik zur Durchsicht zu erhalten und
beeilte sich, zu antworten:

»Thun Sie das nicht — ich hätte wohl kaum Zeit, es durch-
zusehen, und ausserdem — wie kann ich etwas von dem Talente des
Betreffenden sagen, wenn ich nur die Noten sehe. Ich müsste ja auch
wissen, was es sonst für ein Mensch ist, wie alt er ist, welche Studien
er gemacht hat, und ob es sonst ein netter Mensch ist.«

»Es gibt doch einige unter den jüngeren Componisten, die von
ihren Werken leben können. So viel ich weiss, gilt das zum Beispiel
von Sinding.«

»Ja, da sehen Sie selbst. Wenn nur Einer kommt, der etwas
Eigenes für sich hat. Ich will Sinding nicht herabsetzen, aber darüber
können wir doch wohl einig sein, dass es keine Musik ist, die das

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 490, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-13_n0490.html)