Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 489

Ein Besuch bei Johannes Brahms (Behrend, Wilhelm)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 489

Text

EIN BESUCH BEI JOHANNES BRAHMS. 489

»Aber die Jungen bei Ihnen daheim, was machen die? Schaffen
sie auch etwas, das ’was taugt?«

Ich nannte einige Namen dieser nicht eigentlich mehr »jungen«
Musiker. Er kannte keinen von ihnen.

»Ja, es ist wahr, ich kenne eine dänische Symphonie, die gut
ist — von einem einem Hansen in G-moll.«

»Ach, Herr Doctor meinen gewiss Nielsen, Karl Nielsen.«

»Ja, das kann schon sein — Nielsen? Na ja, vielleicht! Die war
gut. Aber das Titelblatt war verdammt komisch. Das vergesse ich
nicht so leicht!«

Das »komische« Titelblatt brachte das Gespräch auf Décoration
und bildende Kunst im Allgemeinen.

»Nun muss ja Alles französisch sein. Französisch ist Mode in
aller Kunst. Nach 1870 sind wir Deutche so galant geworden, den
Franzosen nachzuahmen, ja, sie uns selbst vorzuziehen. Sie können es
an unseren Bildern sehen und an unserer Musik hören. Gehen Sie
ins Theater: eine französische Operette hat mehr Erfolg, als eine
deutsche Oper. Nun fehlt nur noch, dass die Franzosen Symphonien
schreiben lernen, dann wird man unsere eigenen nicht mehr spielen.
Wenn Alexander Dumas stirbt, sind alle Zeitungen voll langer Artikel
über ihn; wenn Einer von uns stirbt — Paul Heyse z. B. — Sie
werden sehen: dann steht da so ein kleines Stück.«

Trotz des lustigen Tones und des launigen Lächelns schimmerte
die Bitterkeit deutlich hervor.

Ich hatte mit Verwunderung erfahren, dass Niels Gade in Nord-
deutschland so bekannt ist, dass man ihn fast zu den eigenen Com-
ponisten zählt, in Wien war er so wenig bekannt, dass selbst Musik-
leute kaum den Namen wussten. Ich sprach davon zu Brahms.

»Ja, so ist es mehreren bedeutenden Componisten ergangen.
Hier herrscht viel Localpatriotismus. Als ich Dirigent war, habe ich
versucht, verschiedene Fremde einzuführen, aber es glückte niemals.
Das Publicum will sich nicht dafür interessiren, und dann haben wir
ja auch keineswegs so viele gute Concerte, wie in Norddeutschland.
Aber bedenken Sie auch, wie viel Musiker wir selbst in Wien haben.
Da ist Bruckner, Goldmarck, Brüll und

»Und Fuchs,« sagte ich, da ich an ein hübsches Streichquartett
von ihm dachte, das ich am Abend vorher gehört hatte und über das
sich Brahms sehr günstig ausgesprochen.

»Ja und Fuchs — ja und dann Brahms,« fuhr er mit un-
beschreiblich schelmischem Lächeln über meine Ungeschicklichkeit fort.
»Ja, wir sind noch mehr. Nun sagt man wohl, wir schreiben zu viel,
aber es ist doch nur zu natürlich, dass wir in erster Reihe für uns
selbst sorgen. Die Leute wollen hier nicht einmal auf anderen Clavieren
spielen, als denen, die hier fabricirt sind. Und warum sollten sie es
auch, unsere sind gerade so gut, wie die anderen. Ja, hier in Wien
halten wir auf unser Eigenes!«

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 489, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-13_n0489.html)