Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 493
Text
Von Peter Altenberg.
Cäcilia sagte zu ihm: »Sie, Sie sind wirklich ein zuwiderer
Kerl. Erstens nie elegant. Schauen Sie den Beamten an. Zweitens.
dieser Schnurrbart, so slowakisch. Und dann überhaupt — — —
was glauben Sie eigentlich?! Ich kann fliegen auf wen ich will.
Und just!«
Als sie sah, dass sie ihn gekränkt hatte, bekam jedoch ihr
Antlitz einen Zug von unerhörter Milde.
»Wie Katzen sind wir wirklich,« fühlte sie, »schade, allein
wir sind es!«
Er sass da, am Marterpfahl der Seele, wünschte hinweg-
geschwemmt zu werden in einem Bach von Thränen. Nicht mehr
sein, nicht mehr sein! Jedoch man ist, man bleibt!
Er schlief natürlich die ganze Nacht nicht.
Morgens ging er in den grossen Park, welcher eben Mai-
Toilette angelegt hatte.
Ein riesiges Blumenbeet leuchtete wie Gluth und Brand,
wie Schnee und übertriebene Schminke.
Tulpen! Auf ganz kurzen festen Stengeln, kerzengerade,
standen sie da, ziemlich gedrängt, Blumen-Regimenter, unerhört
rothe, unerhört weisse im Morgensonnenlichte und ganz oben,
als Gipfel des Farbenberges, geflammte, wie Blumen gewordene
Fackeln. Sie dufteten gleichsam von Farbe, Farben-Vanille, Farben-
Jasmin, erzeugten Migräne durch die Augen. Farbe gewordene
Düfte!
Er setzte sich dem Tulpenbeete gegenüber, welches uner-
hörte Pracht ausströmte, Extrakt von Prächten und welches man,
obzwar es einem nicht gehörte, ganz und leidenschaftlich geniessen
durfte.
Um das Tulpenbeet herum standen Greise in schwarzen
langen Röcken, junge Damen in weissen Kleidern, Kinder und
Militär, eine Theater-Elevin und Studenten mit kleinen Heften.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 493, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-13_n0493.html)