Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 496
Text
Erzählung von Fjodor Ssologub.
Autorisirte Uebersetzung von Klara Brauner. I.
In Ljoljetschkas Kinderstube war alles licht, hübsch und fröhlich.
Ljoljetschkas helle Stimme erfreute die Mama. Ljoljetschka ist ein
reizendes Kind. Niemand hat ein solches Kind, hat es je gehabt und
wird es je haben. Serafima Alexandrowna, Ljoljetschkas Mama, ist
davon überzeugt. Ljoljetschkas Augen sind schwarz und gross, die
Wangen roth, die Lippen scheinen zum Küssen und Lachen geschaffen.
Aber nicht das ist Serafima Alexandrowna an Ljoljetschka das Liebste.
Ljoljetschka ist allein bei der Mama. Darum entzückt jede Be-
wegung Ljoljetschkas die Mama. Welch’ eine Wonne, Ljoljetschka
auf den Knien zu halten, sie zu liebkosen, in den Armen das kleine
Mädchen zu fühlen, das lebendig und lustig wie ein Vögelchen ist!
Die Wahrheit zu sagen, ist Serafima Alexandrowna nur in der
Kinderstube fröhlich. Mit dem Mann ist ihr kalt. Vielleicht darum,
weil er selbst das Kalte so liebt, kaltes Wasser, kalte Luft. Er ist
immer frisch und kalt, mit einem kalten Lächeln, und wo er vorüber-
geht, scheinen kalte Wasserstrahlen durch die Luft zu dringen.
Sergei Modjestowitsch und Serafima Alexandrowna Nesletjeff haben
einander weder aus Liebe, noch aus Berechnung geheiratet, sondern
weil es schon einmal so Sitte ist. Ein junger Mann von fünfund-
dreissig Jahren und ein junges Mädchen von sechsundzwanzig. Beide
demselben Gesellschaftskreis angehörend und wohlerzogen, sind ein-
ander in den Weg gekommen; er sollte heiraten und auch für sie war
es Zeit, an den Mann zu kommen. Serafima Alexandrowna schien es
sogar, sie sei in ihren Bräutigam verliebt und das amusirte sie sehr;
er war elegant und geschickt, bewahrte immer einen vielsagenden Aus-
druck in den gescheidten, grauen Augen und erfüllte seine Bräutigams-
pflichten mit tadelloser Zärtlichkeit. Sergei Modjestowitsch fühlte sich
nicht verliebt, es war ihm nicht so froh zu Muth, sondern nur an-
genehm, wie übrigens immer in seinem eintönigen und gemässigten
Leben. Die Braut war ein hübsches — übrigens nicht allzusehr —
grosses, schwarzäugiges und schwarzhaariges Mädchen, das sich etwas
schüchtern, aber sehr tactvoll benahm. Er hatte es nicht auf die
Mitgift abgesehen — aber es machte ihm Vergnügen zu wissen, dass
sie etwas besass. Er hatte Verbindungen — und auch sie hatte einfluss-
reiche Verwandte. Einmal, bei Gelegenheit, konnte das von Nutzen
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 496, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-13_n0496.html)