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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 494

Text

494 ALTENBERG.

Alle begatteten sich gleichsam mit den Tulpen, genossen sie
ohne Rest, sogen sie ein in sich, berauschten sich, vergassen an
die Pflichten und versanken — — —.

Eine Bonne sagte: »Des tulipes, mes enfants — — —.«
Damit war alles gesagt.

Die Theater-Elevin jedoch machte ein verklärtes Gesicht.
Denn es gehörte zu ihrem Berufe.

Er aber sass da, ausgepumpt, genussunfähig, direktement
greisenhaft, hatte Kopfschmerzen, fühlte: »Die Hand ausstrecken
— — — eins! Deinen Hals fassen — — — zwei! Zupressen
— — — drei!« Dann dachte er: »Verlegt Ihr uns vielleicht nicht
die Athemwege?! Nun also! Tulpen darf man lieben. Krepire!
Tulpen darf man lieben. Darf?! Tulpen muss man lieben! Sie
sind! Roth, weiss, flambant — — und fertig. Nicht nur von
meines Herzens Gnaden sind sie! Sondern roth, weiss, flambant
für alle Menschen. Jedoch Cäcilia ist von meines Herzens Gnade!
Nein, keine dichterischen Worte, bitte, sie sind zu dünn, ver-
mögen nicht zu heilen. Aber Worte gibt es wie Steinwürfe und
geschleuderte Biergläser, die entlasten, blos wenn man sie denkt
und so gewaltsam ausspricht: »Dich massakriren, massakriren,
masss—sssa—krrri—irren!!« Wie komme ich zu dieser Unruhe,
die mich treibt?! Wie ein Morphinist, dem man sein Spritzchen
entzogen hätte! Aller Dinge wäre er fähig. Gleichsam »ausser«
sich! Weib, Ihr seid »innere Mörder!« Darf das Gesetz des Staates
psychologisch sein?! Ich aber darf es sein! Ich richte! Ich! Mein
eigener Staat!! Carmen — — — Cäcilia!«

Er sass da, sah das Tulpenbeet im Morgensonnenlichte,
unerhört weiss, unerhört roth, unerhört flambant. Und an die
glücklichen dicken Holländer dachte er von annodazumal, welche
ihre gesammte Liebe und Freundschaft, Zärtlichkeit und Sorge
den Tulpenzwiebeln geben konnten!

Heilige Ventile überschüssiger Seelen-Dampfkraft: Tulpen-
zwiebeln, Möpse, Kanarienvögel, Politik, Literatur, Briefmarken,
Münzen, Bicycle, Ansichtskarten, Bienenzucht und Poker!

Nur nicht das Einzige, das Wirkliche — — — das Weib!
Das Wirkliche vernichtet!! Hier gibt es keinen Selbstbetrug!
Es ist, es wirkt! Die anderen Empfindungen jedoch sind unseres
Wahnsinns Knechte. Nur Weibesliebe ist unseres Wahnsinns
Herrin! Hier erstirbt unser Lächeln über uns selbst und unsere

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 494, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-13_n0494.html)