Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 541
Text
denken. Sie werden beide gerührt während dieses Gesprächs, Rejersen
ergreift die Hand des alten Mädchens, sie sass da so sicher und
kräftig, wie eine junge Maid.
Plötzlich umarmt er sie und sagt:
»Besinnst Du Dich noch auf damals im Bootschuppen? Jene
Nacht vor zwanzig Jahren?«
»Ja,« erwidert sie ganz leise. Sie leistet keinen Widerstand, er
hält sie noch immer umfasst. »Ich habe Eurer die ganze Zeit gedacht.
Gott vergebe mir meine Sünde,« sagt sie.
Nun wollte er constatieren, ob er etwa schon so ein Alter wäre,
der zu nichts mehr taugte,
»Was wollt Ihr?« fragt sie verwundert. »Seid Ihr verrückt?
Ein verheirateter Mann!«
Als aber ihre Vorwürfe nichts halfen, schlägt sie ihm mit der
derben Faust auf den Kopf, so dass er betäubt gegen das gelbe Paneel
zurücktaumelt.
»Hätt’ ich gewusst, dass Ihr an so was dachtet, hätte ich meinen
Fuss nicht hergesetzt,« sagt sie ärgerlich. »Hat man schon je so einen
Kerl gesehen, ein verheirateter Mann!«
Sie geht zur Thüre hinaus, die Treppe hinauf und steigt zu
ihrer Arbeit in den Schiffsraum hinab. Ihr Traum von Rejersen war
zerstört, sie würde gewiss nicht mehr an ihn denken und sich seines
jugendlichen schwarzhaarigen Kopfes erinnern, wenn er »so Einer«
war. Er hatte weder vor sich, noch vor Gottes Gebot Achtung. Im
Bootschuppen vor zwanzig Jahren! Ja, war das nicht ganz etwas anderes?
Da war keines von ihnen verheiratet und handelte Gott zuwider!
Aber Rejersen war von diesem Augenblicke an ein abgethaner
Mann. Nicht einmal eine einäugige Hexe von vierzig Jahren wollte
mehr etwas von ihm wissen, ihm, der alle Mädchen von Wiek zu
seinen Füssen gesehen hatte. Das Alter war gekommen, seine Rechnung
abgeschlossen.
Es blieb ihm wohl auch nichts anderes übrig, er müsste ernster
und gottesfürchtiger auf seine alten Tage werden; wenn ihm alles
andere fehlschlug, konnte er sich dann wenigstens daran halten. Er entsann
sich auch dieses Beschlusses, als er ganz nüchtern geworden war, und
sagte zu sich selbst: »Du fängst an, jeden Tag ein wenig besser zu
werden, thue kleine Schritte und schreite ständig vorwärts; die Pauline
kann recht haben, dass es dazu an der Zeit ist.«
Als Endre Polden am Abend an Bord kam und meldete, dass
die Fische morgen abends verladen sein könnten, erwiderte der
Schiffer ernst:
»Gott sei gelobt!«
Endre Polden sah ihn verständnislos an. Er fragte:
»Wann lichtet Ihr die Anker?«
Und der Schiffer antwortete wiederum undeutlich:
»Wenn Gott will, morgen nachts!«
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 541, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-14_n0541.html)