Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 540

Schiffer Rejersen vom »Südstern« (Hamsun, Knut)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 540

Text

540 HAMSUN.

Pauline stieg aus dem Schiffsraum und folgte dem Schiffer in
die Kajüte hinab.

»Du warst die Einzige, die sich nicht weigerte, an Bord zu
kommen,« sagte der Schiffer. »Ich will Dir etwas zum Besten geben.«

»Ihr sollt Euch um mich nicht in Unkosten stürzen,« erwiderte sie.

Aber Rejersen wollte was draufgehen lassen. Es fände sich
nichts in seinem Besitz, was er nicht hätte hergeben mögen. »Stewart,
mach’ Feuer und koch Kaffee!«

Der Schiffer setzte ihr selbst Brantwein und Kringel vor und
Pauline bekam ein reines Festessen.

»Wenn Du zum Schiffsraum zurückkommst, erzähle den Mädchen,
dass Schiffer Rejersen Dir nichts zu Leide that,« sagte er.

Sie tranken und thaten sich gütlich, Rejersen klopfte dem alten
Mädchen auf die Schulter. Sie stand auf und wollte an ihre Arbeit gehen.

»Bleib’ noch sitzen,« sagte er, »plaudern wir noch ein Weilchen.
Es ist das letztemal, dass ich hierher komme, Fische trocknen.«

»Ach sagt das nicht.«

Rejersen nickte:

»Doch, das letztemal!«

Es rührte sich etwas in dem alten Mädchenherzen, sie schlug
die Augen nieder und fragte:

»Wann segelt Ihr dann?«

»Wenn die Fische an Bord sind,« erwiderte er. »Morgen Nacht,
oder übermorgen Nacht!«

Sie setzte sich wieder.

»Gott sei mit Euch!« sagte sie wie zu sich selbst.

»Trinken wir eines darauf,« antwortete er. Vor allem sollte nicht
wieder eine Predigt daraus werden. Er fragte sie geradezu: »Na,
Pauline, wann wirst Du Dich denn verheiraten?«

Sie sah ihn gekränkt an und sagte:

»Macht Ihr Euch über mich lustig?«

»Ich mich über Dich lustig machen?« fragte er »Warum denn?«

»Kann ich heiraten, ich, die nur ein Auge hat?« fragte sie.

Rejersen stiess einen pfeifenden Ton aus.

»Warum nicht? Das ist nur ein kleiner Körperfehler.«

Sie war ihm dankbar für diese Worte und gab ihm Recht. Sie
hatte ein Auge verloren, aber sie war darum noch ebenso gut, sie
hatte Unglück gehabt, ein Kind hatte ihr mit einem Eisenhaken das
Auge ausgestochen. Dann waren Jahre vergangen, und sie hatte niemand
anders gehabt, an den sie sich halten konnte, als Gott. Sie weinte
bisweilen um ihr Auge. Aber sie hatte kräftige Glieder und eine starke
Gesundheit, das Gute war ihr noch nicht geraubt.

Rejersen schenkt in die Gläser ein. Er lehnt sich zu ihr hinüber
und will nichts davon hören, dass sie nicht mehr trinken könne. Es
wäre das letztemal, dass er hier in Wiek läge, und sie wäre das
einzige Wesen, das sich zu ihm gewagt hätte, das würde er ihr ge-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 540, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-14_n0540.html)