Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 539
Text
»Nun mag es für diesmal genug sein,« sagte er, als er es nicht
länger ertragen konnte. Er warf seine alten Kleider in den Kasten
und den Verschlag zurück und liess Pauline ans Land setzen.
Der Tag war verloren, seine Speculation missglückt.
IV.Und wieder vergehen ein paar Wochen. Es gieng gegen den
Herbst, die Fische waren trocken, und der Tag nahte heran, da man
sie wieder an Bord nehmen sollte. Er wählte einen warmen Morgen
dazu, zehn- und achtrudrige Boote wurden gedrückt voll bis an den
Rand mit Fischen belastet, und Männer in Hemdärmeln ruderten sie
zum »Südstern« hinüber.
Nun war es ein alter Brauch, dass das Laden durch vier Mädchen
besorgt wurde. Wer wollte nun heuer das Laden übernehmen? Alle
lehnten es ab. Die Frage gieng in erster Reihe den Leiter der Fisch-
trockenarbeit an, Endre Polden, und der Schiffer kümmerte sich nicht
darum, aber er ärgerte sich über diese neue Respectwidrigkeit und
biss sich voll Bitterkeit in die Lippen. Pauline war wieder barmherzig
und bot sich zum Verladen an, wenn drei andere mitgehen wollten.
Rejersen drehte sich auf dem Absatz herum und setzte an Bord.
Er stieg in die Kajüte hinab und begann ganz allein sich über
eine Flasche herzumachen. Was sollte er unter solchen Umständen
auch anderes anfangen? Seine Rolle war ausgespielt. Nun gut. Es sollte
auch das letzte Jahr sein, dass er mit dem »Südstern« in diesen
Winkel hineinsegelte. Es gab noch andere Trockenplätze im Saiten-
fjord. Er zu alt? Das wollte er doch noch einmal sehen. Prosit!
Er trank. Er trank gründlich für sich allein und hetzte sich auf.
Nach Verlauf einer halben Stunde war er in eine Stimmung gekommen,
dass er keck einem goldknöpfigen Postschiffs-Capitän die Spitze bieten
konnte. Er hört Getrampel auf Deck, giesst noch ein Glas hinunter
und steigt aus der Kajüte hinauf.
Waren Lader im Raum? Er guckt hinunter, vier Mädchen sind
in voller Arbeit; Endre Polden hatte endlich seine Autorität geltend
gemacht und sie mit Gewalt an Bord getrieben. Gut! Aber nun wollte
Schiffer Rejersen etwas in der Sache machen, gebt nur acht, er weiss
schon was! Er hört, wie das Lachen und Schwatzen der Mädchen in
dem leeren Fahrzeuge wiederhallt und denkt: »O, bitte sehr, seid
nur guten Muthes!« Nur Pauline schwatzte nicht.
Es war eine ebenso alte Sitte, dass die Laderinnen an den Tagen,
da die Fischverladung vor sich gieng, gratis tractiert wurden. Gratis-
Tactierung? Ha, ha! Ja, Rejersen wollte wohl daran denken! Ja, das
war es gerade, was er sich ausgedacht hatte, dass heuer nichts aus
der Gratis-Tractierung werden sollte. Nun waren sie doch von ihm ab-
hängig.
»Pauline!« rief er, »ich wünsche mit Dir in der Kajüte zu reden.«
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 539, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-14_n0539.html)