Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 538
Text
ganze Tage, aber immer vergebens. Endlich vernahm er eine Frauen-
stimme, die sagte:
»Wenn Euch mit mir geholfen ist, will ich Euch gern zu
Diensten sein!«
Es war Pauline, die so aus Barmherzigkeit handelte.
Rejersen bedachte sich einen Augenblick, Paulinens Auge ruhte
auf ihm. Was sollte er mit ihr? Endlich bedankt er sich und nimmt
ihr Angebot an. Pauline steigt ins Boot. Und die Mädchen, die am
Lande zurückbleiben, kichern.
Eigentlich war es nicht Rejersens Absicht gewesen, seine Kajüte
mit langweiliger Gottesfurcht vollzupfropfen, er hatte gedacht, sich
einen lustigen Tag zu machen, mit frohen Mädchen bei Schnäpsen
und Kringeln, wie in den Zeiten seines Ansehens. Was war aber nun
zu machen?
Er holt aus den Kisten und dem Verschlage seine zerrissenen
Kleider hervor und legt ihr die Flagge hin, und Pauline macht sich
an die Arbeit. Sie spricht so wenig; Rejersen schenkt ihr ein Glas
ein, sie trinkt es aus, bleibt aber stumm und fleissig.
»Du, Pauline,« sagt er, um ihr nach dem Munde zu reden,
»Du hast es gut, Du hast Gott gefunden.«
»Das könnt Ihr wohl sagen,« erwiderte sie. »Es wäre an der
Zeit, dass auch Ihr ihn findet.«
Rejersen entgegnet:
»Es könnte wohl sein, dass ich ihm gar nicht mehr so fern
bin, wie ich es früher gewesen.«
»Meint Ihr das?« fragt sie.
»Mir scheint, es ist in letzter Zeit etwas besser damit geworden.«
»Gott sei gelobt!« sagt sie.
Aber nun war ihre Zunge gelöst, und das alte Mädchen redete
weiter von Gott. Rejersen bereute, dass er von dem Capitel angefangen
hatte, es langweilte ihn, und der graue Sünder brachte alle möglichen
Gründe dafür vor, dass er wirklich begonnen hätte, Gott näher zu
kommen. Er meinte, er hätte so etwas empfunden, sagte er.
»Schafft ihm Raum im Herzen,« bat sie, »schafft ihm Raum
im Herzen.«
Rejersen goss einen neuen Schnaps ein und bot ihr noch mehr
Kringel an.
»Die Mädchen am Land standen und lachten,« sagte er. »Nun
kannst Du ihnen erzählen, dass Du bei Rejersen keine Noth littest.«
Sie tranken alle beide. Als er aber dem Gespräch eine mehr
weltliche Richtung geben wollte, nähte sie nur um so eifriger und
liess sich nicht mit ihm ein. Er wagte sie nicht an die alten, frohen
Zeiten vor zwanzig Jahren zu erinnern; er hatte es auf den Lippen,
unterliess es aber.
Es wurde immer langweiliger, die Stunden vergiengen und die
Flagge wurde fertig; aber ein munteres Lachen hatte Rejersen bei ihr
nicht gesehen.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 538, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-14_n0538.html)