Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 537
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war sein Platz, er hatte ja das Commando. Es sollte wie in alten
Tagen sein, gerade wie in alten Tagen. »Liebe Leute, wollt Ihr Wasch-
arbeit haben?« Die Fischer bejahten verwundert. »Gut!« sagte Rejersen,
»so und so viel fürs Schock! Und damit punktum!«
Aber es wurde doch nicht, wie in alten Tagen, die Fischer
machten auch kurzen Process und stiegen in die Boote. Als sie von
Bord abstiessen und heimzurudern begannen, musste der Schiffer nach-
geben und auf ihre Forderung eingehen:
»Ich gebe Euch die sechs Schilling und im übrigen fahrt zum
Teufel!«
Die Boote legten wieder an, die grossen Luken des »Südstern«
wurden geöffnet und die von Lake tropfenden Fische ausgeladen. So
gieng es Tag für Tag, nur durch die Mahlzeiten und den Schlaf
unterbrochen. Die Trockenstellen wimmelten von Leuten, einige wuschen,
andere trugen Fische auf Tragen aus Fassdauben, und wieder andere
breiteten die Fische auf den Felsplatten in der Sonne aus zum Trocknen.
Im Laufe der Zeit ward die Yacht geleert und hob sich im Meere,
zuletzt lag ihr ganzer Bug frei, nur das Kielschwein war noch in See.
Der »Südstern« wurde abgespült, als er leer war.
Der Schiffer Rejersen hatte nun bequeme Tage. Während er
den Leuten an Bord auftrug, die Yacht von oben bis unten abzu-
kratzen und zu malen, war er selbst an Land, gieng unter den Trocken-
leuten mit den Händen in den Taschen umher und scherzte mit den
Mädchen. Nur mit Pauline liess er sich nicht ein, sie war nun auch
fast vierzig Jahre alt und sprach aus Frömmigkeit so wenig wie
möglich. Wenn aber Rejersens Verhalten ihr zu leichtfertig wurde,
warf sie ihm mit dem einen Auge, das sie noch übrig behalten hatte,
einen stummen vorwurfsvollen Blick zu.
So vergieng Woche um Woche, Rejersen erreichte bei keiner
etwas, sein Alter war daran schuld; die Burschen von Wiek waren
die Sieger.
»Etsch!« sagten die Mädchen, wenn er ihnen zu nah kam. Und
dieses »Etsch!« bedeutete: »Lass uns in Ruh!«
Aber Rejersen sann auf etwas. Sein Alter drückte ihn nicht,
und er wusste wohl, dass er noch immer derselbe vortreffliche Schiffer
Rejersen, wie ehemals, wäre. Er hatte den »Südstern« von Küste zu
Küste geführt und war niemals aufgesegelt, er hatte Fische gekauft
und Fische getrocknet, Rechnungen aufgesetzt, so lang wie die Schiffs-
reeling, und sein Journal sorgsam geführt, das wusste der Teufel; aber
die Leute bezeugten ihm nicht mehr den ihm schuldigen Respect.
»Wische die Kajüte auf!« sagte er zum Koch, denn nun hatte
er sich etwas ausgedacht. Rejersen setzte ans Land und machte unter
den Trockenleuten bekannt, dass er zwei Mädchen an Bord brauchte,
um etwas für ihn zu flicken, so z. B. einige Risse in der Flagge des
»Südstern«.
Aber keines von den Mädchen war geneigt, mit an Bord zu
kommen. Rejersen strandete wieder. Er verhandelte darüber zwei
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 537, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-14_n0537.html)