Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 536

Schiffer Rejersen vom »Südstern« (Hamsun, Knut)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 536

Text

536 HAMSUN.

und das Mädchen war noch ein recht dummes Kind, das sich nicht
vor dem dunkeln Bootschuppen zur Nachtzeit fürchtete.

Als sie aber schieden, sagte sie nur:

»Wie sollt Ihr wieder an Bord kommen?«

»Ich schwimme hinüber,« erwiderte Rejersen.

Und damit sprang er in die See.

Dies Mädchen hiess Pauline

Ach, nun waren alle seine Freundinnen überallhin zerstreut, eine
todt, eine andere in Amerika, eine dritte verheiratet. Und von Rejersen
selbst war sozusagen nur noch ein Erinnerungszeichen übrig. Pauline
gieng noch ledig, wie früher, in Wiek umher; als sie aber vor einigen
Jahren ein Auge verlor, wurde sie fromm, und nun konnten ihr welt-
liche Dinge nichts mehr anhaben. So endete alles auf der Welt. Aber
Rejersen hatte mit Frau und fünf Kindern in Ofoten geendet

Es wurde ein Uhr. Um eine Weile würden die Seevögel er-
wachen. Rejersen gähnte laut und schaute nach dem Wetter aus. Ja,
es war wohl am besten, in die Koje zu gehen, er war ja zu allem
zu alt, verbraucht und verarbeitet. Morgen sollte er mit dem Aus-
waschen der Fische anfangen, dann kamen Leute an Bord, Männer
und Frauen in Seestiefeln und Fellkleidern, unter ihnen junge Mädchen
mit sommersprossigen und lachenden Gesichtern, wahre Adamskinder.
Rejersen kannte sie.

Und der ergrauende Familienvater spiegelte sich in der Stille
einen Augenblick verstohlen im Compassglas, bevor er in sein kleines
stinkendes Kajütenloch hineinkroch und sich in die Koje legte.

III.

Am frühen Morgen kommen Boote an Bord, Rejersen wandert
auf dem Deck auf und ab, als Herr auf seinem Gebiet, in seinen
besten Kleidern, mit einer kunstreichen Uhrkette aus Haaren, die ihm
auf der Brust herabhängt.

Ob er Wäscher haben wollte? Ja, Wäscher müsste er haben.
Es wurde vom Lohn gesprochen, Forderungen gestellt. Die Fischer
hatten die schlechte Gewohnheit angenommen, mit einem Mann wie
Rejersen zu feilschen, sie verlangten sechs Schilling mehr, als er bot.
Was war das für eine neumodische Erfindung? Ach, man schätzte
Rejersen vom »Südstern« nicht mehr nach Verdienst, die Zeiten hatten
sich mit jedem Jahr verändert, und die goldbeknöpften Capitäne der
Postschiffe hatten ihn ausgestochen.

Er schenkte den Leuten einen Schnaps und gab ihnen Kringel.
Sie dankten und tranken. Er kniff die Mädchen in die Seite, sie
schüttelten ihn ab und lachten ihn aus, sie guckten naseweis durch das
Oberlichtfenster hinab und benahmen sich sehr frei. Na, wie es nun
damit wäre, ob er sich bedacht hätte, wollte er die sechs Schilling
mehr geben?

Da fühlte sich der Schiffer tief gekränkt und machte kurzen
Process. Er gieng achterwärts, dort beim Steuer wollte er stehen, da

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 536, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-14_n0536.html)