Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 15, S. 569
Text
die wesentlich durch den unglücklichen Oskar Wilde angefacht wurde,
dem man dafür grossen Dank schuldig ist, hat viel Gutes gestiftet,
und wäre für Deutschland leicht nachzuahmen, wenn eine wirkliche
Hauptstadt vorhanden wäre, die den Ton angiebt. Wien wäre da für
Oesterreich diesseits, Ofen-Pest für jenseits der Leitha besser geeignet.
Die Ungarn haben jedenfalls das vor den Deutschen voraus, dass sie
noch Wert auf ihr Nationalcostüm legen. Sie sollten nur weiter gehen
und die kleidsame Tracht immer tragen. Warum gehen die Studenten
z. B. an den Hochschulen nicht mit dem Beispiel voran? Auch die
deutschen Studenten sollten wieder eine Studententracht tragen, wie es
noch am Anfang dieses Jahrhunderts allgemein üblich war. Alles, was
sich abheben will, sollte eine charakteristische Kleidung tragen, ohne
deshalb dem Spott der Lächerlichkeit zu verfallen. Man trägt ja jetzt
Sportkleidung, die vor 30 Jahren eine Unmöglichkeit geschienen hätte,
warum nicht solche Reformen, die sich jetzt nur schüchtern zeigen,
allgemeiner machen?
Man sollte z. B. bei Maskenbällen mehr auf Schönheit des
Costüms, als Richtigkeit sehen. Was hat man denn davon, ein streng
historisches Costüm mit Schnabelschuhen und Schellen sich anzusehen,
wenn es dabei nicht den Schönheitssinn befriedigt? Nein, man sollte
auf das ästhetisch schönste Costüm einen Preis setzen. Das würde
der Mode einen Anstoss geben. Nicht der Reichthum des Costüms
macht es, sondern die feine Zusammenstellung der Farben, der elegante
Schnitt. Dies kann oft mit sehr wenigen Mitteln erreicht werden.
Ähnlich steht es mit dem Theater. Man bemüht sich jetzt,
»Lohengrin« im streng historischen Costüm der Zeit Heinrichs des
Vogelstellers darzustellen. Wozu das? Die Oper rückt die Handlung
auf eine ideale Höhe. So sollte auch das Costüm entsprechend idealisiert
sein. Eine Sängerin mit einem echten, burgundischen Thurmhut oder
langen Fledermaushängeärmeln, könnte die schönste Rolle verderben,
denn das Costüm muss stets dem Charakter der Rolle angepasst sein.
Person und Costüm müssen eins sein, nicht zwei. Die übertriebene
Sorgfalt aber, die man heute der Richtigkeit des Costüms widmet,
schadet der Ausbildung des Schönheitsgefühles. Auch hier dominiert
wieder der unverbesserliche Schulmeister, der in Deutschland noch
überall sein Wesen treibt.
Ebenso müsste neben der Kleidung die nächste Umgebung jedes
Menschen ästhetisch gemacht werden, wie es bei den alten Griechen
war und im Oriente noch heute ist. Wenn mich etwas anzieht, sobald
ich den internationalen, europäischen Völkermischmasch hinter mir
habe, so ist es die vollkommene Harmonie, die ich im Oriente finde,
die schon bei der Welt der Südslaven beginnt und im angenehmen
Contraste steht zur charakterlosen Stillosigkeit unserer Bildung. Ein
Reisender, der die Inseln der Südsee besucht hat, behauptete vor einiger
Zeit, die Muster, welche die rohen Eingeborenen verfertigen, stünden
hoch über denen unserer gebildeten Damen. Das ist doch gewiss kein
Compliment für unsere vielgerühmte Bildung. Dass unser Geschmack
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 15, S. 569, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-15_n0569.html)