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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 15, S. 597

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NOTIZEN. 597

haben, so muss es doch wohl
andere Gründe für diese auffallende
Erscheinung geben, und diese
Gründe müssen in der Natur der
Frau liegen. Vielmehr haben, nach
Ellen Key, die Frauen sehr viel,
sehr Wertvolles, sehr Wichtiges für
die Cultur geleistet, aber auf
anderem, nämlich seelischem Ge-
biete. Dasselbe, und vielleicht noch
mehr als die Männer für die Ent-
wicklung des Geistes und im
Kampfe für die Erweiterung der
Lebensgebiete geschaffen haben,
that die Frau für die Ausbildung
des Gemüths. Die Frauen sind
gleichsam die geheimen Mit-
arbeiterinnen der Künstler, die
jenen ihre vertiefte Empfindung
und Verinnerlichung zu danken
hätten. Auf anderem Gebiete konnten
sie einfach deshalb nichts leisten,
weil ihre ganze innerliche Kraft
absorbiert war von dem Gefühle
der Mütterlichkeit, das mit gleicher
Stärke wirkt bei denen, die Mütter
wurden und während sie es wurden,
als bei denen, die es nie wurden.
Da nun aber dieselbe Kraft nicht
zweimal verbraucht werden kann,
so musste sich die Thätigkeit der
Frau ihrer Natur gemäss auf die
Familie beschränken, auf die Aus-
bildung des Heimatgefühls, auf
die Verfeinerung der menschlichen
Beziehungen; und wenn ihre Kraft
in Zukunft von dieser ihrer eigen-
thümlichen Wirkungssphäre abge-
lenkt wird, so wird das keine
Bereicherung des Lebens, sondern
eine Verarmung sein. Die Frau
im allgemeinen gewinnt nichts,
sondern verliert, wenn man sie
unter Vorspiegelung von Freiheit
und Emancipation auf die Ge-
biete des Mannes dressiert. Der
Wert unserer Cultur wird nicht

erhöht, wenn ein paar hundert Mäd-
chen studieren und einige tausend
Frauen in allerhand Künsten dilet-
tieren, sondern nur, wenn im ganzen
Umfangsgebiete der Cultur gleich-
mässig gearbeitet wird. Die Vor-
kämpferinnen wollen diese vielleicht
wichtigste Hälfte verkümmern las-
sen, und das muss sich eines Tages
furchtbar rächen. Sie befinden sich
in einer völligen Verkennung der
Natur ihres eigenen Geschlechts.
Sie missbrauchen die Kraft der
Frau in schlimmerer Weise, als
dies früher im Zeitalter der Knech-
tung geschah. Und gegen diesen
Missbrauch anzukämpfen hat sich
die Verfasserin zur Aufgabe gesetzt,
oder, wie sie in komischem Pathos
sagt, »den Eid Hannibals geschwo-
ren«. In der Hauptsache sagt sie
freilich nichts Neues. Denn, wenn
die kleineren Unterschiede der Ras-
sen und Stände schon zu so weit-
gehenden und unversöhnlichen Un-
gleichheiten geführt haben, so wer-
den sich wohl die Ungleichheiten
der Geschlechter den Zeitphrasen
und der Galanterie zuliebe auch
nicht plötzlich aus der Welt schaffen
lassen. Und die Verfasserin ist
ehrlich genug einzugestehen, dass
sie diese Erkenntnis der männlichen
Intelligenz verdankt, wie ja das
Wertvollste, was bislang über die
Frau geschrieben ist, von Männern
stammt. So ist der ganze Inhalt
dieser etwas weitschweifigen Bro-
schüre in die Worte zusammenzu-
fassen, die Arne Garborg in »Bei
Mama« dem cynischen Gabriel Gram
in den Mund legt: »Es soll Euch zum
Teufel gestattet sein, ganze Heere
zu commandieren; aber wenn Ihr
es eine Weile probiert habt, so
werft Ihr Euch wohl auf Eure Knie
und faltet Eure Hände und weint,

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 15, S. 597, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-15_n0597.html)