Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 638

Die Neugestaltung der Schauspielschule am Conservatorium Schnitzler,»Die Frau des Weisen«

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 638

Text

638 NOTIZEN.

werden. Darüber jedoch enthält das
Exposé keinerlei Aufklärungen. Nur
ein Satz desselben räumt radical
auf: »An Stelle der Costümkunde
wird in Hinkunft das wichtigere
Fach: italienische Sprache treten«.
Es wäre interessant zu erfahren,
warum sich die Costümkunde bei
den Reorganisatoren der Schau-
spielschule so missliebig gemacht
hat. Ohne Zweifel kommt ein
deutscher Schauspieler weit öfter
in die Lage, die Costümkunde
verwerten zu können, als die
italienische Sprache. Jedenfalls ist
es eine unfassbare Geschmack-
losigkeit, diese beiden Disciplinen
gegen einander auszuspielen. Was
die Lehrkräfte betrifft, so wurden
wohl die ungeeigneten Herren
Altmann und Kracher ausgeschie-
den, aber man kann es als keine
glückliche Wahl bezeichnen, wenn
nun Herr Römpler vom Burg-
theater und Herr Meixner vom
Deutschen Volkstheater an ihre
Stelle treten. Der erstere ein
Komiker mit wenig, der zweite
ein gewandter Episodist mit ver-
bissenem Humor sind wohl gewiss
nicht die Individualitäten, Be-
geisterung für die Kunst bei einer
jugendfrischen Schülerschar her-
vorzurufen. So sind denn die
Bedingungen für die Wiedereröff-
nung der Schauspielschule am
Conservatorium auf moderner Basis
noch keineswegs geschaffen, und
man wird sich wohl bequemen
müssen, einen weniger naiven Re-
organisations-Versuch neuerlich zu
— planen.

F. Schik.


BÜCHER.

Arthur Schnitzlers neue
Novellettensammlung — nach dem
wenig nachahmenswerten Vorgang
der Franzosen mit dem Titel einer
der untereinander in gar keinem
Zusammenhange stehenden Skizzen
(»Die Frau des Weisen«) versehen
kann als eine erwünschte Be-
reicherung der neuen Wiener Lite-
ratur gelten. Schnitzler unternimmt
keine Weltreisen, um sich Gegen-
stände für seine psychologisch feinen
und künstlerisch polierten Darstel-
lungen zu suchen. Er findet sie
in nächster Nähe, eng mit unserem
socialen und moralischen Zustande
verbunden, gewiss von sehr vielen
schon empfunden und durchlebt,
aber noch von keinem dargestellt
und dichterisch gestaltet. Die No-
velletten dieser Sammlung sind nicht
gleichwertig. Doch trägt jede den
Stempel des Verfassers. Schnitzler
sucht nicht lange nach psycholo-
gischen Problemen. Er sucht aber
auch nicht lange nach Menschen,
die darin verwickelt werden. Nicht
Prachtexemplare, in denen sich ein
derartiger Process mit typischer
Reinheit vollzieht, bietet er uns.
Er gräbt nicht nach Gold, um uns
endlich einen grossen Würfel zu
zeigen. Seine Arbeit ist die des
Goldwäschers, der aus sehr viel
Wasser Sandkörner des Edelmetalls
gewinnt. Wie der moderne Maler
dem Pittoresken, Mächtigen in der
Natur gerne ausweicht, um dem un-
scheinbaren Objecte seine Poesie
abzulauschen, so trachtet Schnitzler
in jene Tiefen des Alltagsmenschen
hinabzuleuchten, aus denen auch
von ihm ein, wenigstens ephemerer,
dichterischer Glanz ausstrahlt. Als
die vollendetste unter diesen Er-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 638, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0638.html)