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zählungen erschien uns die letzte:
»Die Todten schweigen«. Hier ist
ein äusserlich sehr wahrscheinliches
Ereignis und wie es mit zwingender
Kraft umbildend auf eine Frauen-
seele wirkt, mit ungewöhnlicher
dichterischer Feinheit und Kraft
überzeugend und eindrucksvoll dar-
gestellt. Im »Ehrentag« wird eine
tragikomische Episode aus dem
Milieu des Bühnenvölkchens in sehr
charakteristischer Art erzählt. »Ab-
schied« bedeutet die sinnreiche
Aufstellung einer psychologischen
Zwickmühle. In der »Frau des
Weisen« steht die Ausgestaltung
des Frauencharakters nicht im rich-
tigen Verhältnis zur glücklichen
Erfindung und mit bildhafter Deut-
lichkeit vermittelten, die Voraus-
setzung der Erzählung bildenden
Situation. Arthur Schnitzler ist
kein Revolutionär, wie Peter Alten-
berg. Er wirft unserer in falschen
Moralbegriffen und deren heuch-
lerischer Bewährung befangenen
Gesellschaft keinen Fehdehand-
schuh hin. Dazu fehlt ihm das
starke Temperament und stets ge-
reizte Nervensystem des Dichters
von »Wie ich es sehe«. Aber er be-
sitzt einen klaren Blick für Seelen-
vorgänge, die aus den gegebenen
Zuständen sich entwickeln und ist
soweit empfindlich für die Anti-
nomien der letzteren, um von ihnen
die Anregung zu dichterischen Ge-
stalten zu empfangen. Als berufener
Dichter hat er auch seine eigene
Sprache, deren Besonderheit sich
freilich nicht aufdringlich geberdet.
Sie fliesst mit anmuthiger Leichtig-
keit und rhythmisch discret dahin,
ohne diese Eigenschaften einem
sprachwidrigen Feuilletonisieren zu
verdanken. Schnitzler prägt nicht
Worte, aber das luftige Gefüge
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seiner Satzbildung erinnert an die
Meister der modernen Medaille, die
einer leichten Reliefierung echte
Wirkungen abzugewinnen ver-
stehen.
G. S.
Deutsche Musik im neun-
zehnten Jahrhundert v. Dr. Max
Graf ist ein Theil einer sehr um-
fangreich angelegten Encyklopädie,
die von S. Cronbach in Berlin
herausgegeben und von Dr. Paul
Bornstein redigiert, den Stand aller
intellectuellen Bestrebungen am
Ende des ausgehenden Jahrhun-
derts charakterisieren soll. Das
Buch Grafs ist eines der anregend-
sten und erfreulichsten, weil die
Anschauungen des Verfassers aus
echter Liebe zur Sache entsprin-
gen und von einem selbständigen,
mit den Erscheinungen direct,
ohne Vermittlung von Commentar-
krücken verkehrenden Geiste Zeug-
nis ablegen. Graf steht auf einem
Standpunkt, der ihm die Objecte,
deren Beziehungen und Grössen-
verhältnisse, überzeugend, wahr und
richtig zu sehen gestattet. Was
er bietet, ist nicht derivative, von
anderen bezogene, sondern erlebte
Kritik. Auf keiner Seite begegnen wir
jener ruchlosen Fertigkeit zu sprechen,
wenn man nichts zu sagen hat. Graf
besitzt eine lebhafte Empfindung
und dazu jenes Mass zügelnden
Verstandes, das einem Urtheil
Charakter aufprägt. Der land-
läufige Recensentenjargon ist völlig
vermieden und alle Theile spiegeln
die, wenn auch noch nicht voll-
ständig formierte, Persönlichkeit
des Verfassers wieder. Das Buch
ist gar nicht geistreichelnd und
doch grundgescheit geschrieben.
Weil es ganz augenscheinlich nicht
im Dienste einer Partei verfasst
ist, aber dennoch auf den Anschein
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