Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 657

Jakob Böhme (Thomassin, Ch. v..)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 657

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JAKOB BÖHME. 657

kalt, hart, scharf, streng, in sich selbst verschlossen, will ausser sich
nichts dulden, sondern alles in sich hineinziehen (Contraction). Der
zweite ist das nach aussen gerichtete, die in die Mannigfaltigkeit
hinauswollende Bewegung (Expansion). Diese gegensätzlichen, herein-
und hinausziehenden Kräfte sind unzertrennlich und müssen mit
einander streiten. Aus ihrem Ringen entsteht schliesslich eine Schwin-
gung, eine Bewegung, die kein Ende finden kann, so dass schreckliche
Unruhe und Angst entsteht — die dritte Naturgestalt (Rotation). Aber
durch das ängstliche Verlangen nach Freiheit wird endlich die Erlösung
erreicht und es entsteht der »Schrack« — es geht durch die ganze
Natur eine Erschütterung, indem der Blitz aufleuchtet (vierte Natur-
gestalt). Das ist die erste Berührung der Geister mit der Natur und
nun wird »alles ganz sanftmüthig«. Die vierte Naturgestalt: hat
bekanntlich in der Theosophie im Kreuze, unserem Symbol der
Erlösung, ihre symbolische Bezeichnung. »Per ignem ad lucem« —
»Per crucem ad lucem« — der Weg der Natur zum Lichte geht
durch das angezündete Feuer, der Erlösung folgt das Licht. — Im
weiteren Verlauf des Processes wird das Strenge und Scharfe um-
gebildet durch das Licht, den »Wassergeist« (fünfte Naturgestalt), und
durch die Weisheit geordnet. (Wiedergeburt aus Wasser und Geist.)
Dann werden die gesammelten Kräfte hinausgeführt in verständlicher
Sonderung, sie tönen hervor und werden deutlich; es erfolgt im sym-
phonischen Zusammenwirken der verständliche Laut und Klang,
»Schall und Hall« (sechste Naturgestalt), worauf in der siebenten die
Weisheit im Leben und der Leibhaftigkeit ausgestaltet ist, — »Gottes
Leiblichkeit«, »das Reich«, Malkuth der kabbalistische Saphirot,
vollendet ist. — Dieser Process ist, wie Böhme wiederholt erklärt,
ein ewiger, nichts ist in ihm das erste und letzte, alles ist in ewiger
Kreisbewegung und Wechselwirkung.

Böhmes Auffassung des Christenthums entsprach am vollkommensten
den klargelegten Anschauungen. Für ihn kam nur der innere Kern der
christlichen Lehre in Betracht, dass der Lichtgeist, der Christus in
uns oder Gottgeist in uns aus dem durch das Feuer der Begierde
veranlassten Kampfe erstehe. Speciell den Protestanten seinerzeit
sagte er: »Du wirst nicht selig durch einen bloss historischen Glauben,
bei welchem Du Dir einbildest, den Gnadenmantel von aussen um
Dich werfen zu können, während Du innerlich fortfährst, ein wildes
Thier zu sein. — Worauf es ankommt, ist dies, dass das Licht und
die Lichtwelt in Dir angezündet werde.«


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 17, S. 657, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-17_n0657.html)