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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 18, S. 699

Text

PANISCUS. 699

Doch willst Du der Gewitter Schauer fühlen,
das Tannenkrachen wilder Felsennacht,
tobendes Zürnen berstender Gebirge,
dann soll Dich meine Liebe mit sich reissen
von Fels zu Fels und ihre wilde Fackel
soll in der Berge schwarze Gründe leuchten
und in des Meeres Schoss, den Donner sollst Du
in Deinem jungen Blute toben fühlen
und aller Winde Wucht in Deinem Haar.
Von Fels zu Wolken trägt mein Nacken Dich,
in Flammen unter uns zerbirst die Welt,
in Flammen um uns kreisen die Gewitter,
ich trag Dich höher, immer höher, bis
Du matt in meinen Armen hängst und lallend
nach einer weichen Rasenbank begehrst
zu schlummern; und ich flüst’re Deinem Traum
noch Worte ein, die mehr erzittern machen,
als aller Götter allertiefster Kuss!

Komm Aglaë, kennst Du den Blumenschurz,
den hochgefüllt Priapus Bildnis trägt?
So ist mein Busen voll von jungen Lüsten
der Mittagsglut; nun soll das süsse Opfer
von Deiner Mädchenschaft in einem Kuss,
in Einem brennen, der gen Himmel flammt,
so hoch, so heiss, so laut, dass Zeus, gedenkend
der Nacht am Ida selbst, vor Neid erbleicht.«

Und Aglaë erfüllt mit hellem Lachen
den kühlen Raum — so rauschen weisse Quellen
von hoch hernieder — und das junge Jauchzen
der Flutgeborenen heisst die Seufzer schweigen
des Harrenden! Schon streifen ihn die Haare,
die aus des Baumes Krone sich gelöst,
schon neben ihm die Wellen ihres Odems,
schon sinkt sie zu ihm auf das Blumenlager,
und seine Lust zischt auf, als sei ein Strudel
von Wasser in ein Feuermeer gefahren.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 18, S. 699, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-18_n0699.html)