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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 18, S. 698

Text

698 SCHMITZ.

sind weiss und nackte, rothe Herzen glühen
in ihrem Kelch Ist Dir die Anemone,
ist das Cyperon Dir nicht weich genug?
Bin ich Dir selbst zu rauh, soll ich vielleicht
mehr Hyacinthus gleichen, liebst Du mehr
ein glattes Kinn, dann soll noch heute
Priap das Opfer meines Barts empfangen;
und grämen Dich die Hörner meines Hauptes,
dann hülle sie mit Ros’ und Myrthe ein,
dass ich Dir süss genug als Buhle sei.
Du lächelst, Aglaë? Ist Dir vielleicht
der Leib des Jünglings noch nicht rauh genug,
dünkt Dir zu weibisch noch mein Kuss, die Glieder
von eigenem Begehren unerprobt,
bärtigen Kuss zu dulden noch gewohnt,
dann will ich gehen, Schilf am Ufer holen
und hartes Gras, die Eucalyptusrinde
soll mich in einen Pinienzapfen wandeln,
wie eine Frau aus Thasos mich gelehrt,
und Deiner Brüste jungfräulichen Schlaf
weckt rauhes Kosen. Soll mein Haar nach Rosen,
soll es dem Fell des Bockes ähnlich duften?
denn ich bin zarter, als Eudymion
und rauher als der Gott der Wälder selbst,
wie Du mich wünschest; Lieder weiss ich süsser
als Lydien sie erfand, gemengt mit Kosen,
als wären meine Lippen Rosenblätter
und aller Blumengärten Süssigkeit
wirst Du in Deinen Adern gleiten fühlen
in langen, weichen Küssen; in eine Nacht
der leisen Schauer wirst Du stumm versinken,
sanft wie der Mond sollst auf Wolken gleiten
und Deine unergründliche Entzückung
wird mich mit süsser Trauer überschwemmen,
Du lauschst, Du schaust, Du athmest, alle Sinne
trinken die Lust, sind Lust, der Schale Rand
wird selbst zu Wein — in unfassbarem Strom.
Du rufst den Tod, Dich von dem Leib zu trennen,
der Deiner Seele tiefste Wollust hemmt

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 18, S. 698, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-18_n0698.html)