Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 21, S. 823

Stéphane Mallarmé Politik

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 21, S. 823

Text

NOTIZEN.
POLITIK.

Gegen die lichtumflossene Ge-
stalt, die vergeblich in der Welt
umherzog, um einen Fleck Erde
zu finden, auf dem sich Ideale
ansiedeln können, hatten sich seit
langem alle Mächte der Finsternis
verschworen; aber Aug in Aug
mit der leuchtenden Fürstin ver-
flüchtigten sie sich; jeder Streich,
der gegen sie geführt wurde, zog
einen neuen Zauberkreis um die
Unbesiegbare. Es musste plötzlich
eine finstere Gestalt aus dem Ab-
grund auftauchen und meuchlings
den Todesstoss gegen den Körper
führen, da der Seele von innen
nicht beizukommen war.

Diese Unthat der dunklen In-
stincte ist kein Sieg. Der Dolch
zerriss zugleich die Scheinidee, die
ihn leitete. Der Mörder gehört
jenen Gesellen an, die mit dem
Leben gewaltsam abschliessen und
dabei auch die vermeintlich durch
einzelne Personen verkörperte
gierige Lebenslust treffen wollen.
Sie glauben, dass die Grausamkeit
der Naturkräfte, die ihre Opfer
nicht nach deren Schuld, sondern
wahllos herausgreifen, vorbildlich sei
für die von ihnen erkorene Art der
Vernichtung. Da bei der Schulung
der in den heutigen Anarchisten
wiedererstandenen Assassinen des
Ostens ein verlässlicher Schutz
gegen ihre Überfälle selbst bei aller
Wachsamkeit ausgeschlossen ist,
muss man den Niedergang dieser
Secte vor allem von einer Nieder-
lage erwarten, die sich ihr leitender
Gedanke selbst bereitet. Und eine
solche hat ihn jetzt ereilt.

Bei ihrem jüngsten Opfer hatte
der Wunsch zu leben längst auf-
gehört — in viel natürlicherer
Weise als dies bei den Anarchisten
selbst der Fall ist. So haben diese
denn die Lebensunlust in ihrer
Reinheit zu Falle gebracht und
dadurch für alle Zukunft dem
Anarchismus die Entwicklungs-
möglichkeit zu den Höhen der
socialen Idee benommen. Das Ver-
brechen an unserer Kaiserin wirkt
in diesem Sinne, wie keines vor-
her, aufklärend auf die blinden
Fanatiker des politischen Mordes.

F. Schik.

LITERATUR.

Stéphane Mallarmé .

Während diese Blätter in Druck
gehen, kommt aus Paris die
Nachricht vom Tode Mallarmé’s.
Kein deutsches Blatt hat von
seinem Tode Notiz genommen
und auch die französischen Journale
haben nur ein paar nichtssagende
Wendungen über ihn zu sagen
gehabt. Aber Mallarmé ist auch
einer der wenigen unjournalistischen,
antijournalistischen Geister der
Gegenwart gewesen. Vielleicht
kein Dichter ist von den Zeitungs-
schreibern mehr verhöhnt worden
wie er. Es ist schwer zu sagen,
bis zu welchem Punkte seine Ver-
höhner im Recht waren. Thatsache
ist, dass Mallarmé von einer ge-
wissen, absichtlichen Exclusivität
war. Er liess sich mit seinen
öffentlichen Gegnern niemals in
polemische Discussionen ein, weil
er nicht jene verderbte Routine

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 21, S. 823, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-21_n0823.html)