Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 22, S. 862

Operntheater Carltheater Deutsches Volkstheater Burgtheater

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 22, S. 862

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862 NOTIZEN.

Zusammenhang mit moderner Deco-
rationskunst, die ihr Hauptgewicht
auf die Kunst und nicht auf die
Decoration legt, sind gewisse Theile
der Ausstattung der »Götterdäm-
merung«. Sie war freilich ursprüng-
lich noch viel mehr das Werk der
gewöhnlichsten Routine. Seither
hat Brioschi vieles daran zu bessern
gesucht und theilweise auch wirk-
lich gebessert. Aber zu einer radi-
calen Umgestaltung konnte er bis-
her nicht die Mittel erlangen. So
sehen wir also im dritten Act
eine anämische, verblasste Rhein-
decoration, die mit der lebens-
frischen Scene Siegfrieds mit den
Nixen in traurigem Gegensatze
steht und auf die Stimmung mehr
drückt, als sie erhöht. Geradezu
nicht würdig einer Bühne vom
Reichthum des Hofoperntheaters
sind die von Wagner mit so viel
Aufwand seiner decorativen Be-
gabung ersonnenen und in Bayreuth
so glorreich zur Ausführung ge-
brachten Übergänge aus einem
scenischen Bilde in das folgende,
sich daraus entwickelnde. Sie
werden hier in primitivster Art
durch schlecht gemalte Courtinen
vermittelt, welche, herabgelassen,
so lange den Zuschauer zu stören
haben, als die Zwischenspiele
dauern — während sie als de-
corative Action gedacht sind, die,
entsprechend den Phasen der Musik,
in Fluss zu halten ist. Mit Wolken
und Nebeln wird merkwürdig ge-
spart. Vielleicht hat die Hoftheater-
behörde den Ehrgeiz, die einzige in
Österreich zu sein, welche es
an Verschleierungen fehlen lässt.
Die Costüme sind im allgemeinen
malerisch und von guter Wirkung.
Aber welcher Einfall, Herrn Reich-
mann (Wotan) in der »Walküre«

mit einem rothen Mantel er-
scheinen zu lassen! Der Mantel
des altgermanischen Gottes sym-
bolisiert das Firmament, sowie
das Auge die Sonne. Der »Ring
des Nibelungen« ist das einzige
Werk Wagners, welches dieser
unter dem Banne der Idee des
Gesammtkunstwerkes schuf, also
eines Gebildes, an dessen Formung
alle Künste gleichkräftigen An-
theil haben sollten. Wir halten
diese Idee für verfehlt und auch
Wagner hat sie später lautlos
fallen gelassen. Aber immerhin
verpflichtet dieser Umstand die
Bühnen, bei der Aufführung des
Ringes das decorative Element
bis aufs höchste künstlerisch zu
steigern. G. S.


THEATER.

Saisonbeginn. Heutzutage
bietet uns die Aussenwelt täglich
eine Novität, auf unseren Bühnen
aber bedeuten die Worte: »Zum
ersten Male« fast immer Wieder-
holungen unter verändertem Titel;
nur im Theater fühlt man sich
abgeschnitten von der Zufuhr aus
der erregenden Wirklichkeit. Im
Burgtheater faselte ein Herr Faber
von »ewiger Liebe« mit einer
Naivetät, als ob er ein ahnungs-
voller Vorfahre Ibsens und Haupt-
manns wäre. Das Deutsche Volks-
theater tischte »Pamela« von
Sardou auf, revolutionären Anek-
dotenkram, der sich angesichts der
politischen Tagesereignisse recht
kindisch ausnimmt. Das Carltheater
brachte Ibsens »Der Bund der
Jugend«, ein Werk, das sich
diesmal einer literarischen Be-
sprechung entzieht, weil es durch
Victor Leon’sche Bearbeitung und

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 22, S. 862, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-22_n0862.html)