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Regieführung gröblich entstellt
wurde. Am letzten Samstag kam
auch der sonst actuell heitere Karl-
weis in Raimund’scher Verkleidung
mit einem Zauber-Opus: »Das liebe
Ich« hervor. Er vertritt darin mit
Wärme den längst als unverläss-
lich erkannten Einzelbetrieb der
Philanthropie; aber gerade das
Moderne übersieht er, dass nur
die heutige Socialphilanthropie die
egoistischen Unholde wegzufegen
im Stande ist. Feen und Traum-
einfälle haben viel weniger Ge-
walt über die Menschen als die
Evolutionsgesetze der natürlichen
Entwicklung. Die Grundgedanken
der Karlweis’schen Stücke standen
bisher nie auf der richtigen
Zeitbasis, aber ihr Dialog war
immer kräftig genug, das Manco
der socialen Erkenntnis des Autors
zu decken. Eine nicht unwichtige
Wirkung geht von ihnen aus, sie
sind imstande, bei einem rück-
ständigen Publicum atavistische
Rückschläge in die Brutalität zu
mildern. In dieser Beziehung ist
Karlweis ein echter Volksschrift-
steller. So erklärt sich der Erfolg,
den »Das liebe Ich« im Deutschen
Volkstheater gefunden. Allerdings
trug auch die Meisterleistung
Girardi’s viel dazu bei. Er hat
alle seine Wiener Collegen in
Grund und Boden gespielt.
LITERATUR.
Herr Nordau. Vittorio Picas
Studie über Mallarmé, welche die
»Rundschau« in dieser Nummer ver-
öffentlicht, wurde noch zu Leb-
zeiten des Dichters geschrieben.
Sie bildet — trotzdem sich auch
Pica in gewisser Reserve hält —
ein passendes Gegenstück zu dem
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Feuilleton, welches sich Herr Max
Nordau nach dem Tode des
Dichters in der »Neuen Freien
Presse« leistete. Nun fällt es uns
ja gar nicht ein, uns über die
letzten Anfälle des Herrn Nordau
besonders aufzuregen. Der Mann
ist, nach einem Worte Heines,
berühmt — durch seinen Ruhm.
Für ihn ist eben jeder Autor nur
eine Gelegenheit, sein bischen
gesunden Menschenverstand des
Normalmenschen leuchten zu lassen
und jedem, der darüber hinaus-
geht, in die Waden zu fahren.
Das letztemal begieng zwar
Herr Nordau einige offenkundige
Fälschungen. Er schrieb z. B.:
Mallarmé nennt seine Gedicht-
sammlung selbst: »Faseleien«. Der
wahre Titel ist: »Divagations«,
was zu deutsch einfach soviel wie
»Abschweifungen« bedeutet und
nur in zweiter Linie eine ironische
Deutung zulässt. Also ein hübscher
Scherz von Mallarmé, der mit
diesem Titel auch sehr ernstlich
betonen wollte, dass diese Verse
noch nicht die volle Realisierung
seiner kunsttheoretischen Meinun-
gen bedeuten. — Ein anderes
Manöver: Damit Mallarmé allen
Lesern des Nordau’schen Feuille-
tons so unbegreiflich erscheint,
wie er es für den Nordau’schen
Intellect ist, gibt Herr Nordau
einzelne lose, aus dem Zusammen-
hang gerissene Sätze in deutscher
Übersetzung wieder. Sicher ist
sicher! sagt er sich und setzt die
deutsche Übersetzung in fran-
zösischer Wortfolge hin Am
Schlusse des Feuilletons wird
Maeterlinck ein Trottel genannt.
Wenn man das liest, juckt es
einen ziemlich lebendig in der
Hand, aber dann besinnt man sich
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