Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 22, S. 858

Das Schicksal der Kaiserin (d’Annunzio, Gabriele)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 22, S. 858

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DAS SCHICKSAL DER KAISERIN.
Von GABRIELE D’ANNUNZIO.

Was sterblich war an der kaiserlichen Pilgerin, ist nun für immer
in die kalte, schwarze Gruft gesenkt; in der blinden Finsternis zerfällt
ihr Leichnam.

Hell strahlt allen Dichtern das Bild ihrer Träume an den blühenden
Gestaden Joniens, in Korkyra, dort, wo ihre gebrochenen Hoffnungen,
ihre grausame Angst sich verwandelten und wurden »wie das Meer
im Frühling«. Der Rhythmus ihrer erhabenen Seele fliesst dort an der
Küste über in die Melodie des Lebens, der sie so lange gelauscht hat,
auf Wiesen oder im Sande lagernd, unter der hellen Sonne oder unter
blassen Sternen. Da fühlte sie die Unendlichkeit ihres Schmerzes,
den schwellenden Strömen und den flutenden Oceanen gleich.

In dem tragischen Ende der Elisabeth von Österreich liegt eine
Vollkommenheit, die mich überwältigt. Unter dem rapiden, sicheren
Stoss des Mörders enthüllte sich die geheime Schönheit dieses Lebens
in aussergewöhnlich scharfen Umrissen mit einemmale den Augen der
Welt, wie das Erz einer Statue plötzlich aus der Hülle schimmert,
die unter der brutalen Wucht des Hammers zerfällt. Ich kenne Herzen,
die vor der unvergesslichen Schönheit dieser blutigen Tragik höher
aufschlugen. Nicht lärmende Klagen und stupide Ausbrüche der Wuth
sind des erhabenen Opfers würdig; sondern die grosse Empfindung
der Kraft und Freiheit, in welcher jene Geister erstarken, die hinter
den wirren Geberden des Zufalls die reine Linie des Lebens zu erkennen
wussten, die in grausamer Verkürzung verläuft, ein Menschenbild,
das durch den Tod zur Vollendung gedeiht.

»Ein harmonisches Ende, wenn die Zeit da ist « Ihr
Schmerz und ihr Traum, waren sie nicht reif, wie die September-
früchte, welche sie zu kosten pflegte auf den Felszacken, während
die blauen Wasser unter ihr bleicher wurden? Das Schicksal, das
gleichsam mit schrecklichen Blitzen die Gipfel dieser einsamen Seele
umflammt hat, ergriff sie mit glühenden und starken Händen, als
es die Zeit gekommen sah, sie in vollem Lichte zu entrücken, sie
dem Angedenken der Menschen zu bewahren, durch die Gewalt eines
grossen Ereignisses.

Ein geheimnisvoller Spruch schien sich erfüllt zu haben. War
dieser plötzliche Todesstoss nicht ihr eigener Wunsch, die antike
»Euthanasie«, welche Artemis schenkte, wenn sie mit unsichtbarem
Pfeil die Brust der Erwählten durchbohrte? Hatte sie nicht einen plötz-
lichen Tod »unter vollem Himmelsglanze« ersehnt? Die Poesie ihres

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 22, S. 858, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-22_n0858.html)