Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 22, S. 859
Text
Todeswunsches wurde übertroffen durch den realen Glanz ihrer letzten
Augenblicke. Vom Eisen gezeichnet, vom Blute gefärbt, stehen die
edelsten Menschenbilder dem Gedächtnisse der Menschheit da; Eisen
und Blut haben auch den Contouren dieser Figur einen unverrückbaren
Stil gegeben. Sie haben mit ihrer Macht den Finsternissen des Lebens
ein helles Symbol entlockt, an dem die Menschen vielleicht achtlos
vorübergegangen wären, hätten nicht Schreck und Erbarmen ihre Blicke
gewaltsam zur Todten hingezwungen.
Alles scheint mir fremd und seltsam in der Erzählung dieser
Euthanasie, jede Einzelheit scheint mir bezeichnend und voll tieferer
Beziehungen wie in einem Mythos. Unwert der Beachtung ist das,
was sichtbare Erlahmung an diesem Tode, unwert der Beachtung ist
der Niedrige, der doch so sicher seine finstere Aufgabe zu vollenden
wusste. Erst hinter der sinnlichen Erscheinung taucht ein ideales
Bild von Träumen und Sterben auf.
Zur Stunde Pans, zur flammenden Stunde stirbt dieses Geschöpf,
das den Schlaf nicht kannte, das an jedem Morgen die Himmelsröthe
mit Iphigeniens Worten grüsste: »Nichts weniger, als das Licht zu
schauen«. Den Schlag empfängt sie, da sie noch einmal zum Ufer
schreitet, zum wunderbaren, trostathmenden Wasser, welches ihr immer
tiefere Visionen zu versprechen, sie in traumhaftere Länder zu
führen schien.
Von ewigem Schweigen schon voll, die Seele schon durchleuchtet
von den Dingen, die durch den zerrissenen Schleier herüberglänzen,
schreitet sie ihres Weges, erreicht das Ufer, setzt ihren kaiserlichen
Fuss auf die Schiffsbrücke. Die Anker auf! Navigare necesse est,
vivere non necesse est. Plötzlich weicht alle gewöhnliche Realität von
diesem Schiff, voll Erhabenheit wird es. Die Furche, die sein Kiel gräbt,
scheint unauslöschlich, da sie in dem Element des Traumes und des
Todes gezogen ist.
So konnte diese Frau mit den reinen Blüten ihrer Seele sich bekränzen,
als der Tod kam. Immer sah sie die Realität als etwas Niedriges und
nun erscheint sie uns, die so wahrhaft kaiserlich vom Kranz auf ihrem
Haupte bis zu den Füssen, als ein grossartiges Beispiel der Einsamkeit,
Macht und Freiheit. Diese Kaiserin und Königin kennt für ihre Macht
nur ein Kaiserreich und ein Königthum: Das innere Leben. Nie gab
jemand ein besseres Zeugnis, die Worte Vincis verstanden und in
sich aufgenommen zu haben: »Man kann keine grössere Herrlichkeit
besitzen, als die seiner selbst.«
Dort herrschte sie, und kein anderer als sie. Nur an den Orten
ihrer Sehnsucht war ihr Vaterland, rasende Eile ihre Trunkenheit. Das
Pferd, welches vorwärtsstürmt, das Segel, welches sich bläht, gaben
ihr die Illusion von Flügeln. Sie kannten der Thau der Wiesen, der salzige
Sand, die Fülle des Meeres, die Winde und Regen, die unsichtbaren Wege
und die bannenden Gefahren. Wie liebte sie es, das Gebiss des Pferdes,
den Schiffsbug ganz mit Schaum bedeckt zu sehen, während ihr
Schmerz stark ward wie die Erde oder brausend wie das Meer.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 22, S. 859, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-22_n0859.html)