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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 23, S. 901

Text

NOTIZEN.
BURGTHEATER.

»Cyrano von Bergerac«.
Romantische Komödie in fünf
Acten von Edmond Rostand.
Deutsch von Ludwig Fulda,

Die Première dieses in Paris
als ein Meisterwerk nationaler
Genialität und Dichtkunst ver-
schrienen Stückes ist im Burg-
theater mit wenig Erfolg vorüber-
gegangen. Die Komödie bedeutet
einen französischen Rückfall in die
ideale Romantik. Rostand hat schon
in seinem Lustspiel »Die Roman-
tischen« diesen Weg nach den
alten Gefilden eingeschlagen, wie er
wohl meint, den einzigen, die dem
französischen Publicum noch einen
neuen Duft zu bringen vermöchten.
Er selbst aber glaubt nicht recht
an die Aufrichtigkeit dieses wieder-
erstandenen Romantismus, wes-
wegen er ihn auch den Gascognern
in die Schuhe oder vielmehr in
den unaufhörlich nach Wahrheit
schnappenden Mund schiebt. Das
Ganze ist hübsch erdacht und
brillant zusummengestellt. Hie und
da weht ein Shakespeare’scher
Athem herein. Was aber am
Stücke selbst gross oder fein, hat
die Fulda’sche Übersetzung geziert
und trivial gemacht. Diesmal hat
sich Herr Fulda vor seiner nach-
dichterischen Gelenkigkeit nicht zu
verstecken gebraucht. Vielmehr
wollte er zeigen, dass er imstande,
aus einem Stück in Versen ein
ganz anderes Stück ebenso in
Versen zusammenzuschnitzeln. Die
Phrase und das Bonmot spielen
im Rostand’schen Stücke eine

grosse Rolle; sie blühen aber
sozusagen aus dem Inhalt und
Charakter desselben organisch em-
por und sind als ein der ganzen
französischen Nation innewohnen-
der Gascogner Zug für den Autor
sowohl, als auch für sein Publikum
ein Element der Wahrheit und
Schönheit. Diese äusserliche Jong-
leur-Kunst mit Worten ist es, die
Herrn Fulda geblendet. Man hatte
das Gefühl, dass er bei jeder Pointe
das Publikum auffordere, nicht
dem Dichter oder dem Schau-
spieler, sondern ihm, dem so
geschickten Nach-Künster, zu
applaudieren. Die Rostand’schen
Figuren haben viel Menschliches
an sich. An deren Stelle setzt Herr
Fulda Sprechmaschinen, die »seine«
Verse mit Effect auszusprechen und
dabei sich nach allen Seiten zu ver-
renken oder fein zu knixen ver-
stehen. Trotzdem hat die Regie
und Darstellung des Deutschen
Theaters in Berlin von dem ur-
sprünglichen Stück soviel zu retten
vermocht, dass es noch Cassa macht.
Herr Schlenther aber hat sein Mög-
lichstes gethan, um Herrn Fulda
in Unnatürlichkeit wirksam zu se-
cundieren und mittels durchwegs
falscher Besetzung die im Burg-
theater vorhandene Unkunst ins
rechte Licht zu stellen. Herr Frank,
bekanntlich eine neue Acquisition,
dann die Lieblinge des jetzigen
Directors, Herr Hartmann und Frau
Reinhold, streuten alle ihre negativen
Gaben reichlich aus. Sie haben die
Dichtung um jeden ernsten oder
tiefen Zug armer gemacht. Ins-
besondere aber Frau Reinhold

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 23, S. 901, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-23_n0901.html)