Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 23, S. 872
Text
(Aus dem Cyclus »Das Leben selbst«.)
Von PETER ALTENBERG (Wien).
Peter Altenberg, was wirst Du einschreiben in das Gedenk-
buch der Sommervilla?! Wieder, eine Deiner schrecklichen Sachen,
mit Perspectiven, man weiss nicht woher?!
Nein, ich werde eine einfache geradlinige Sache schreiben:
»Mein Onkel!«
In wunderbar elastischen Ausdrücken wie Kautschuk hat
man ihn bisher dargestellt: »Ein hochachtbarer Charakter«, »ein
Muster-Kaufmann«. Das sind die »Essays« der bürgerlichen
Gesellschaft!!
»Er hat seine Eigenheiten« und »glaubst Du, dass er bequem
zu behandeln ist?!« und »oh, der — — —!«
Aus einer vollblütigen, sicher und aus aufgestapelten Kräften
von Jahrhunderten heraus functionierenden Zeit ragt er einfach
herüber in die complicierten und beschwerlichen Entwicklungs-
Perioden eines neuen und noch ziemlich unbestimmbaren Daseins.
Das macht ihn ein bischen unruhig, schüchtert ihn gleichsam ein,
erzeugt Conflicte.
Siehe! Alle seine Organe functionieren wie selbstverständlich
an schönem heilsamen harmonischem Tempo, während er die
Desorganisationen der neuen Seelen wehmüthig und ein wenig
erstaunt miterlebt.
Bald functioniert bei diesen alles in rasendem Tempo, sich
ungeheuer überstürzend, bald wie ersterbend, hinfällig. Das
kränkt ihn.
»Warum alles verwickeln?!« denkt er, »arbeitet!«
Ein tief natürlicher Mensch ist er. Aus dieser nicht be-
sonderen Eigenschaft entspringt jedoch ein Gegensatz, eine Feind-
schaft sogar mit allen Menschen, mit welchen man verkehrt.
»Könnt Ihr nicht natürlich sein?! Es ist das Natürlichste von der
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 23, S. 872, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-23_n0872.html)