Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 23, S. 873
Text
Welt!« Anders versteht er es nicht. Aber alle schreit er gleich-
sam an: »Könnt Ihr nicht natürlich sein?!« Nein, sie können
es nicht.
Einmal sagt er zu einem jungen Fräulein: »Kleines Fräulein,
Ihr Lachen kommt nicht von dorther, woher es kommen sollte.
Es sitzt zu hoch oben. Glauben Sie es mir.«
Vollkommen bedürfnislos ist er, sieht mit Staunen die un-
erhörten Ansprüche der anderen an das Leben.
»Ansprüche an das Leben?! Mein Gott, ich glaubte, es
habe Ansprüche an uns!«
Einmal sagte er: »Alle unsere Kräfte haben wir aufgewendet,
um diesem feindlichen, harten, unangenehmen Leben beizukommen!
Sind wir unverbrauchtes Capital?! Womit sollen wir jetzt »Mond-
nächte« gemessen, für »neue Welten« schwärmen?! Gebt Ruhe!
Aus unseren Verlusten erblühen erst die »schwärmerischen
Menschen«! Wer waren wir?! Bismarcke unserer eigenen
Lebensthätigkeiten!! Umsichtige, Vor-Sichtige waren wir, Voraus-
Schauer, Bedenker, Kraftvolle, Einiger, Erbauer, Zusammenhalter,
Entwickler, Kröner des Gebäudes! Setzt man vielleicht solchen
Monumente?! Vergesst uns!«
Siehe! Damals lebte man und kämpfte! Ein Einiger war
man wirklich seiner eigenen Reiche, kein Zersplitterer! Jeder
führte sich selbst zur Kaiser-Krönung, hatte Achtung vor seiner
eigenen Dynastie in ihm!
Dennoch lauscht der Onkel milde, ein wenig betroffen, den
Verkündigungen neuer Gesetze der zarteren Generationen. Ein
bischen aus seiner Ruhe kommt er, lässt sich ein in Debatten,
welchen er nicht gewachsen ist, kann nicht leichthin zugeben, dass
diese alte wohlgeordnete gesicherte Basis des Lebens umgestossen
und missachtet werde durch stürmische Empfindungen von oben-
auf, durch schreckliche Phrasen von »anbrechenden Morgenröthen«!
Und dennoch, wie weit geht er manchmal mit Euch, Ihr Jungen,
die neuen Wege!
Einmal sagt einer beim Souper: »Jawohl, die Schönheit
einer Frauenhand ist beglückender als die Schönheit einer
Frauenseele!«
Alles war starr und ziemlich entrüstet über dieses brutale
Paradoxon. Er aber blickte den Sprecher an, schlug die Augen
nieder wie verlegen, versank in nachdenkliches Schweigen. Über-
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 23, S. 873, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-23_n0873.html)